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Menschenmassen strömen am 3. Januar 2009 durch die Strassen von Bilbo, um gegen unmenschliche Haftbedingungen baskischer Gefangener in spanischen und französischen Gefängnissen zu protestieren. Aufgerufen zur Demonstration hatte Etxerat, die Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen. Unterstützt wurde der Aufruf von insgesamt 40 gewerkschaftlichen, sozialen und politischen Organisationen, darunter auch Organisationen, die nicht zum direkten Umfeld der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung, der Izquierda Abertzale, zählen, wie zum Beispiel die größte baskische Gewerkschaft ELA oder auch die kleine Partei Aralar. Einheit ist wichtig im Ringen um Demokratie im Baskenland, wo vor allem die spanische Regierung in immer größerem Maße Menschen- und Bürgerrechte außer Kraft setzt. Bericht von Uschi Grandel, 6. Januar 2009 |
Obwohl allein schon die hohe Anzahl der Gefangenen sie Lügen straft, leugnet die Spanische
Regierung nach außen die Existenz eines politischen Konflikts im Baskenland. Im Innern
versucht sie, auch die Organisationen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung gewaltsam
mundtot zu machen, die nicht bewaffnet, sondern mit politischen Mitteln für ihre Ziele
kämpfen. Die spanische Regierung akzeptiert das Recht der Basken nicht, über ihre Zukunft auf
demokratische Weise selbst zu entscheiden. Ihre Mittel sind dabei aus Diktaturen bekannt:
die Illegalisierung von Organisationen, Verbote demokratischer, politischer Betätigung und
willkürliche Verhaftungen haben Demokratie im Baskenland weitgehend außer Kraft gesetzt.
In den Gefängnissen sitzen deshalb längst nicht nur Mitglieder der ETA, der Gruppe Euskadi
Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit), die bewaffnet für ein unabhängiges Baskenland
kämpft, als politische Gefangene.
Ausweitung des Terrorismusbegriffs
Unter immer stärkerer Ausweitung des Terrorismusbegriffs werden auf einen Schlag
Massenorganisationen, wie etwa die Jugendorganisation Segi oder die
Gefangenenhilfsorganisation Gestoras pro Amnistia zu terroristischen Organisationen
umgedeutet. Massenverfahren spülen mehr und mehr politische Aktivisten, Journalisten
und Mitglieder sozialer Organisationen im Umfeld der linken baskischen
Unabhängigkeitsbewegung, der Izquierda Abertzale, mit absurd hohen Gefängnisstrafen
in die Gefängnisse.
So werden im September 2008 einundzwanzig der führenden Mitglieder von Gestoras pro Amnistia
zu je 8-10 Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl keinem von ihnen irgendein Delikt oder auch
nur direkter Kontakt zur ETA nachgewiesen wurde. Für das Gericht ist die Organisation
terroristisch, weil ihre Arbeit, die Unterstützung der Gefangenen, Proteste gegen Folter
und staatliche Willkür, die verfassungsmäßige Ordnung in Spanien untergräbt und damit
Ziele der ETA unterstützt. Josu Beaumont ist einer der Verurteilten. Als Begründung
für seine achtjährige Haftstrafe ist unter anderem die Organisation einer erlaubten
und friedlich verlaufenden Demonstration gegen die repressive spanische Politik gegenüber
den baskischen, politischen Gefangenen aufgeführt.
Forderung 3: Euskal presoak Euskal Herrira -
Baskische Gefangene ins Baskenland!
Eine der repressiven Methoden ist die "Zerstreuung der baskischen Gefangenen", ihre
Verlegung in Gefängnisse, Hunderte Kilometer vom Baskenland entfernt.
Für die Angehörigen bedeutet diese Politik, dass sie für einen kurzen Besuch des Kindes,
des Partners oder der Partnerin Woche für Woche stundenlange Reisezeiten auf sich nehmen.
Im Schnitt legt jeder Angehörige 1300 km pro Woche zurück, in Frankreich sind es sogar
1600 km. Bisher sind 16 Angehörige oder Freunde während der Reise von oder zu einem
Gefängnis tödlich verunglückt, unzählige wurden bisher verletzt. Die Kosten für diese
Reisen erreichen exorbitante Höhen. Die Praxis der "Zerstreuung" ist unvereinbar mit den
Gesetzen in Spanien und Frankreich und auch mit internationalen Menschenrechtsvereinbarungen.
Elf der Verurteilten des Massenprozesses gegen Gestoras pro Amnistia erfahren schon ein
paar Tage nach Verkündung des Urteils die Praxis der "Zerstreuung", gegen die sie
jahrelang Proteste mobilisierten, am eigenen Leib. Sie werden auf elf verschiedene
Gefängnisse in Spanien verteilt.
Jahrelange Internierungen unliebsamer Personen
Josu war bereits Jahre vor seiner Verurteilung für vier Jahre inhaftiert. Präventive Haft
nennt sich diese Praxis der jahrelangen Internierung ohne Gerichtsverfahren. Sie ist bei
Terrorismusverdacht für maximal vier Jahre erlaubt.
Mit der Ausdehnung des Terrorismusbegriffs und den Internierungen verschwinden politisch
unliebsame Personen auf Jahre hinter Gittern. Der UN Sonderbeauftragte für Menschenrechte
kritisierte dies in seinem Bericht im Oktober 2008 und forderte die überarbeitung der
entsprechenden Paragraphen des Strafrechts.
Folter mitten in Europa
Ein zweiter Tatbestand, der die Gefängnisse füllt, sind willkürliche Verhaftungen vor
allem junger Leute aus dem Spektrum der linken Unabhängigkeitsbewegung und die Erzwingung
von "Geständnissen" durch Folter und schwere Misshandlungen. Verhaftungen, fünf lange
Tage "incommunicado", d.h. völlig der Polizei ausgeliefert ohne Kontakt zur Außenwelt,
zu einem Arzt, zur Familie, ohne einen Richter zu Gesicht zu bekommen.
Natürlich nur bei Terrorismusverdacht. Zum Beispiel wegen Zugehörigkeit zur
Jugendorganisation Segi, die Tausende Mitglieder hat und Anfang 2007 zur terroristischen
Organisation erklärt wurde. Zwar nur mit knapper Mehrheit des obersten spanischen
Gerichtshofs, weil zwei der fünf Richter nicht Ausschreitungen auf Demonstrationen, die
man Segi vorwarf, mit ETA Anschlägen gleichsetzen wollten. Trotzdem hängt über
tausenden junger Baskinnen und Basken die Drohung der Incommunicado Haft, der Folter,
der erzwungenen Unterschriften unter vorgefertigte Geständnisse, der jahrelangen
Internierung in spanischen Gefängnissen, weit weg vom Baskenland. über 250 Verhaftungen
gab es im Jahre 2008, in 64 Fällen wurden Foltervorwürfe erhoben.
Folter - UNO mahnt - Spanien ignoriert
Die Menschenrechtskommission der UNO mahnt Spanien seit Jahren vergeblich, Maßnahmen gegen
Folter in Polizeihaft zu ergreifen, zumindest eine Videoüberwachung des 5-tägigen
Incommunicado-Zeitraums einzuführen, besser die Incommunicado-Haft ganz abzuschaffen.
Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2008 verkündet die spanische Regierung,
die geforderte Videoüberwachung der Incommunicado-Haft endlich einzuführen. Die
zuständigen Richter würden diese Periode nun außerdem besser überwachen.
Nur Tage danach
werden drei junge Leute verhaftet und klagen an, schwer gefoltert und misshandelt worden
zu sein. June Vilarubia, eine junge Frau aus Algorta, ist mittlerweile wieder in Freiheit.
Sie beschreibt die fünf Tage in Incommunicado-Haft als "Hölle". Eine Plastiktüte wurde
ihr viele Male über den Kopf gezogen, um Erstickungsanfälle zu produzieren. In den ersten
beiden Tagen wurde sie mit nacktem Oberkörper verhört. Die Polizisten belästigten sie,
berührten ihre Brüste, einer drohte mit Vergewaltigung. Sie wurde herumgestoßen, an den
Haaren gerissen. Ihr Freund musste während seines eigenen Verhörs ihre Schreie hören. Der
zuständige Richter des Sondergerichtshofs Audiencia Nacional weigerte sich, die Gefangenen
während der Incommunicado-Periode zu sehen.
"Zehntausende Menschen demonstrieren heute hier, dass wir unsere gefangenen Angehörigen lebend und zu Hause haben wollen. Dass ihre Rechte respektiert werden. Wir alle müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Spanien und Frankreich ihre Gefangenenpolitik ändern. Und das werden wir erreichen!"bekräftigt Polentzi Goikoetxea, die Sprecherin von Etxerat, vor den 37.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Demonstration.