Konferenz zum Baskenland (Euskal Herria) im Europaparlament in Brüssel:
Raymond Kendall und Brian Currin, Mitglieder der Internationalen Initiative für Frieden und Dialog im
Baskenland
Brüssel ist Gastgeber einer Veranstaltung,
die Polizeimaßnahmen kritisiert und
von Madrid einen demokratischen
Prozess fordert
Im Konferenzraum A1G-3 des Europaparlaments in Brüssel konnte man gestern Fragen der folgenden Art hören:
"Wie kann es eine Lösung geben, wenn eine bedeutende Gruppe der baskischen Gesellschaft vom
Lösungsprozess ausgeschlossen ist?"
.
Die Gruppe Basque Friendship (baskischer Freundeskreis – Europaabgeordnete für einen Friedensprozess im Baskenland)
verfolgt seit drei Jahren im Europaparlament das Ziel, Unterstützung und Impulse für einen demokratischen
Konfliktlösungsprozess in Euskal Herria zu organisieren. Gestern lud der Freundeskreis zu einer erfolgreichen
Veranstaltung mit Brian Currin und Raymond Kendall. Beide genießen große Reputation und sind Mitglieder der
Internationalen Initiative für Frieden und Dialog im Baskenland. Sie referierten zweieinhalb Stunden
über die aktuelle politische Situation. Etwa hundert Teilnehmer waren gekommen, darunter Parlamentarier verschiedenster
Parteien und Herkunft, vertreten waren alle Gruppen (des Europaparlaments) durch Abgeordnete oder Mitarbeiter.
Außerdem nahmen Journalisten verschiedener Länder, NGOs, Anwälte, die auf Menschenrechte spezialisiert sind,
und Mitglieder von Solidaritätsgruppen mit Euskal Herria teil.
Bairbre de Brún, Europa-Abgeordnete der (irischen Partei) Sinn Féin, und (der stellvertretende Vorsitzende des
Europaparlaments) Gerard Onesta, der für die französischen Grünen ins Europaparlament gewählt wurde, moderierten
die Veranstaltung. Sie führten die beiden geladenen Gäste ein und nahmen auch selbst Stellung zum Thema. Nach der
Präsentation der Moderatoren ergriff als erster Brian Currin das Wort. Brian Currin ist Rechtsanwalt aus Südafrika,
der aus erster Hand Konflikte wie den in Nordirland und den Konflikt in seinem eigenen Land kennt.
Aus Erfahrung weiß er von den gemeinsamen Faktoren und Vorgehensweisen beider Konflikte. Er bewertet diese
Gemeinsamkeiten stärker als die ebenfalls existierenden Differenzen und argumentiert dafür, die Vorgehensweisen
(zur Konfliktlösung) auch in anderen Szenarien, wie zum Beispiel in Euskal Herria (dem Baskenland), anzuwenden.
Nach den Vorbemerkungen leitet er auf das aktuelle Thema über und bezieht sich sowohl auf Südafrika als auch auf
Nordirland, als er feststellt: „Jeder gab seine Zustimmung, dass es allen Parteien möglich sein müsse, frei und
unter gleichen Bedingungen teilnehmen zu können.“ Dieser Standpunkt ist völlig konträr zu dem, was in unserem Land
passiert, wo es heißt: „Batasuna, die linke Unabhängigkeitsbewegung, ist völlig vom demokratischen Prozess
ausgeschlossen.“ Worauf Brian Currin die Frage stellt: „Wie kann es einen Friedensprozess geben, wenn eine
so bedeutende Gruppe ausgegrenzt wird?“ Er beantwortet die Frage selbst: „Es ist unmöglich“.
Mehrfach betont er deshalb, dass es für die Izquierda Abertzale, (die linke Unabhängigkeitsbewegung) möglich
sein müsse, sich ohne Einschränkungen an der politischen Auseinandersetzung zu beteiligen. Er illustriert den
Teilnehmern die Konsequenzen des (umstrittenen spanischen) Parteiengesetzes (das die rechtliche Grundlage für
die Illegalisierung und damit die Ausgrenzung Batasunas ist und zu diesem Zweck im Jahre 2002 entsprechend geändert
wurde). Er erklärt: „Die Führung Batasunas hat sich einem Friedensprozess, einem demokratischen Prozess verpflichtet,
aber das ist anscheinend nicht genug für die spanische Regierung“.
Currin bedauert, dass spanische Regierungsstellen seine Gruppe seit ihrer Gründung „boykottieren“ und sie bisher
nicht empfangen hätten. Er weist auf die große Bedeutung hin, die die derzeit im spanischen Staat existierende
Gesetzgebung für den Konflikt hat. Er betont, dass in Südafrika zu Beginn der 90er Jahre die Regierung ohne
Friedensprozess eine Vielzahl von (politischen) Gefangenen freigelassen und die verbotenen Parteien legalisiert
habe. In Irland konnte Sinn Féin gleichberechtigt am Prozess teilnehmen. Die Haltung der spanischen Autoritäten
ist jedoch völlig anders. Zu beklagen ist die Anwendung einer „extrem rigiden Gesetzgebung“. Er weist auf Themen
wie die Incomunicado-Haft hin, (eine 5-tägige, völlige Kontaktsperre zur Außenwelt) für Verhaftete (in allen Fällen,
in denen Polizei und Justiz "Terrorismusverdacht" äußern), auf Foltervorwürfe, die von vielen Organisationen
erhoben werden, erst vor kurzem vom Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen.
Der Anwalt geht auf einige weitere Themen ein und weist in diesem Zusammenhang auch auf die Anklage gegen (den
derzeitigen Chef der baskischen Regionalregierung) Juan José Ibarretxe, zwei Mitglieder der PSE und verschiedene
Gesprächspartner der Unabhängigkeitsbewegung hin. Unter Anklage stehen die Betroffenen wegen ihres Dialogs (zur
Konfliktlösung unter Einschluss der verbotenen Partei Batasuna). Er schließt mit den Worten, dass es „die
Verantwortung aller Beteiligten ist, eine Lösung zu finden“.
«Es ist unerhört»
Nach Currin sprach Raymond Kendall. Mit seinen 75 Jahren ist er im Ruhestand, war aber viele Jahre Generalsekretär
von Interpol und hatte verschiedene andere ämter inne. Aus dieser Perspektive beleuchtet er etwas andere Punkte
als Currin, aber gerade vor dem Hintergrund seiner Erfahrung ist seine Einschätzung zu den Handlungen der
Polizeikräfte und der spanischen Justiz besonders bemerkenswert. „Einem Szenario, in dem ein Anwalt in der
ersten Phase der Verhaftung nicht präsent sein darf, darf niemand zustimmen; Anwälte müssen Zugang zu ihren
Clienten haben“, bekräftigt er in Bezug auf die Incomunicado-Verhaftungen. Er geht außerdem noch auf die Schließung
von Zeitungen, die Illegalisierung von Parteien und die Forderung nach der Rückführung baskischer Gefangener
(aus spanischen und französischen Gefängnissen in baskische Haftanstalten) ein.
«Alle Organisationen, alle Berichte haben zu diesen Themen eine übereinstimmende Meinung und sie geben dies auch
an die spanische Regierung weiter, aber diese ignoriert jegliche Kritik. Und das ist unerhört! Ich weiß nicht,
warum sie nichts ändern“, erklärt Kendall. Am Ende seiner Rede sucht er eine Erklärung für dieses Verhalten:
„Die spanischen Autoritäten haben vielleicht eine andere Rechtskultur. Spanien ist eine relativ neue Demokratie
und einige Richter haben noch ein altes, frankistisches Verhalten. Ich frage mich, ob die Ignoranz gegenüber Fragen,
die Menschenrechte betreffen, nicht ein Teil dieser Rechtskultur ist.“ Dies waren klare Worte des ehemals höchsten
Verantwortlichen von Interpol vor den Repräsentanten aller parlamentarischen Gruppen (des europäischen Parlaments).
Am Schluss gab es jede Menge an Fragen von Parlamentariern und auch von den Mitgliedern anderer Organisationen. Die
Konferenz endet mit großem Beifall. Ein Hintergrundsbericht zu den Themen dieser Konferenz, den der Freundeskreis
Baskenland zusammengestellt hatte, fand großes Interesse.
übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 16. November 2008
(Erläuterungen in Klammern)