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7. Januar 2008: am Tag nach seiner Verhaftung durch die Guardia Civil wurde ein junger Mann mit
schweren Anzeichen von Folter in die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert.
Zwei junge Männer aus dem baskischen Lesaka, Igor Portu Juanena und Mattin Sarasola, wurden am Sonntag, den 6. Januar 2008
von der (spanischen paramilitärischen Polizei) Guardia Civil in Arrasate, einer Stadt in der Nähe ihres Heimatortes, verhaftet.
Einer der beiden Männer, Igor Portu, wurde heute nachmittag in die Intensivstation des Krankenhauses in Donostia (San Sebastian)
eingeliefert. Sein Zustand ist mit zwei gebrochenen Rippen und einem Lungenriss besorgniserregend.
Er hat Blutergüsse am ganzen Körper und Blut im rechten Auge. Ein Bericht der Ärzte findet sich weiter unten im Text.
Seit gestern wurde er von der Guardia Civil incommunicado gehalten, (d.h. in Haft in vollständiger Rechtlosigkeit
mit völliger Kontaktsperre zur Aussenwelt, auch kein Kontakt zur Familie oder zu einem Anwalt seines Vertrauens).
Die Gefangenenhilfsorganisation Askatasuna (Freiheit) hat dazu aufgerufen, sich um 18.00 am Eingang des
Krankenhauses in Donostia zu versammeln.
Amnesty International fordert eine
unabhängige Untersuchung im Fall Igor Portu
Uschi Grandel, 9. Januar 2008 (aktualisiert am 13.1.2008)
Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung im Fall Igor Portu. Der AI Koordinator
in Donostia (San Sebastian) will nicht von systematischer Folter sprechen, weist aber darauf hin, "dass es bewiesene
Fälle von Misshandlungen durch Polizeikräfte gibt, nicht nur bei denen, die als 'Terroristen' verhaftet würden, sondern
auch bei anderen Gruppen, wie z.B. Immigranten."
AI kritisiert seit langem das Fehlen interner Untersuchungen in den Fällen, in denen Verdacht gegen die Polizei
wegen Misshandlungen besteht. AI fordert, Misshandlungen zumindest durch Videoüberwachung der Inkommunicado-Haft und
der Verhöre zu erschweren. Eine Mindestforderung, die auch baskische Menschenrechtsorganisationen und
Anti-Folter-Organisationen wie Behatokia und TAT (The Group Against Torture) erheben.
Im Baskenland geht die spanische Regierung mit Brachialgewalt gegen die linke Unabhängigkeitsbewegung vor,
die Statistik des letzten Jahres zeigt das Ausmass:
Auch gut dokumentierte Foltervorwürfe bleiben ohne Konsequenz
von Januar bis November 2007 hatte TAT bereits 27 Berichte von Folteropfern in Inkomunicado-Haft aufgenommen und
Anzeige erstattet. Mittlerweile dürften es über 40 Fälle sein. Die Dunkelziffer an
Folteropfern ist vermutlich erheblich, da die Polizei auf jede Anzeige mit einer Gegenanzeige antwortet und bisher auch
prominente und gut dokumentierte Folterfälle nicht zu einer Bestrafung der Schuldigen geführt haben. Der Fall von
Unai Romano aus dem Jahr 2002 hat mit dem Fall von Igor Porto gemein, dass beide öffentlich bekannt wurden,
weil die Verletzungen so schwerwiegend und vor allem sichtbar waren, dass ein Krankenhausaufenthalt notwendig wurde.
Im Krankenhaus wurde ein Foto des durch Schläge völlig verquollenen, durch Blutergüsse dunkelrot gefärbten Kopfes
von Unai Romano aufgenommen (
>>>> Behatokia: Informationsmaterial zum Fall Romano in spanischer, französischer und englischer Sprache
).
Folteropfer berichten berichten von Schlägen und Anschreien, von Kniebeugen, Liegestützen und Stehen bis zur
Erschöpfung, von Erstickungsfolter mittels Plastiktüten und Wasser, von sexueller Gewalt, Nacktheit bei Verhören,
Androhung von Vergewaltigung und Vergewaltigungen mit Stöcken. Eine deutsche Übersetzung des Berichts von Gorka Lupiaņez,
der am 6 Dezember 2007 verhaftet wurde und Anzeige gegen die Polizei wegen Folter gestellt hat, findet sich auf
Indymedia (
>>>> 21.12.2007: Aussage von Gorka Lupiaņez zu erlittenen Folterungen in 5-tägiger Incommunicado-Haft
). In fast allen Fällen berichten die Opfer, die Folter sollte sie dazu zu bringen, bereits vorgefertigte
Geständnisse zu unterschreiben.
Die baskische Zeitung GARA listet 295 Personen auf, die im Jahr 2007 im Zusammenhang mit dem spanisch-baskischen Konflikt
verhaftet wurden. Ende Dezember 2007 gab es 711 baskische Gefangene, verteilt auf über 100 Gefängnisse in Spanien
und Frankreich. Hunderte Kilometer lange Besuchsanfahrtswege führten zu mittlerweile 17 Verkehrsunfällen, bei
denen Familienangehörige ums Leben kamen. Der letzte Fall ereignete
sich Weihnachten 2007. ETA-Gefangene werden derzeit weder bei schwerer Krankheit noch nach Ablauf ihrer jahrzehntelangen
Haft entlassen. Noch gravierender ist die Tatsache, dass jahrelange Haftstrafen in Fällen verhängt werden, in denen
keine Beteiligung an Straftaten zur Debatte steht, sondern die politische, kulturelle oder soziale Gesinnung der Angeklagten
und ihr Streben nach einem unabhängigen Baskenland mit friedlichen Mitteln.
UN Beauftragter erhebt Foltervorwürfe gegen den spanischen Staat
Im folgenden Video lässt ein australischer Journalist Folteropfer zu Wort kommen und berichtet über die Untersuchungen
der UN über Foltervorwürfe gegen die spanische Regierung. Am 31. März 2004 berichtet der UN Beauftragte Theo van Boven
dem Menschenrechtsausschuss der UN, dass Foltervorwürfe "mehr als sporadisch und keine Einzelfälle" seien:
Der Bericht der Ärzte in Donostia über die schweren Verletzungen von Igor Portu haben über die letzten Tage das Thema
Folter auch in spanischen Medien, in denen Foltervorwürfe baskischer Gefangener üblicherweise abgestritten werden,
zum Thema gemacht. Die jüngsten Sensationsmeldungen auch deutscher Agenturmeldungen darüber, dass die beiden jungen
Männer angeblich hochkarätige ETA-Terroristen waren, die einen spektakulären Anschlag in Madrid planten, ist
deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Es kann dies durchaus eine gezielte Falschmeldung des spanischen Innenministers
Rubalcaba sein, der eine Diskussion über Foltervorwürfe möglichst schnell im Keim ersticken will.
Lügt der spanische Innenminister Rubalcaba?
Aktualisierung, 13.1.2008: Da mittlerweile beide Männer nach fünf Tagen "Incommunicado-Haft" ins Gefängnis
überführt wurden, ist nun bekannt
geworden, dass sich ihre Aussagen über den Verhaftungszeitpunkt und die nachfolgenden Ereignisse decken, obwohl beide
völlig isoliert voneinander und von der Aussenwelt waren. Ihre Aussagen decken sich auch mit einem Zeugenbericht, einem
älteren Mann, der am Sonntag vormittag seinen Hund spazieren führte, dabei selbst von der Polizei kontrolliert wurde, und
Zeuge der Verhaftung wurde. Der Zeuge und die beiden verhafteten Männer sagen übereinstimmend aus, dass Portu und Sarasola
am Sonntag vormittag um 11.00 verhaftet wurden, nicht um 13.00, dem im Polizeibericht genannten Datum. Die Verhaftung fand
auch nicht, wie von der Polizei angegeben, an einem Kontrollpunkt statt, sondern in den Bergen. Der Zeuge bestätigt, dass
die Männer sich nicht wehrten.
Portu und Sarasola beschreiben beide unabhängig voneinander, wie sie nach der Verhaftung auf einem Waldweg an einen Fluss
gebracht und dort schwer gefoltert wurden. Beide berichten von wiederholten schweren Schlägen. Portu wurde mit dem
Kopf mehrfach lange unter Wasser gedrückt, bis er fast ertrank und anschliessend an den Beinen hochgezogen und
kopfüber ins Wasser gehängt.
Der Bericht der Guarda Civil über Verhaftungszeitpunkt, Ort und Verletzungen der Verhafteten widerspricht diesen drei
unabhängigen Aussagen und ist nicht mehr glaubwürdig. Der spanische Innenminister Rubalcaba hat die Polizeiversion
der Vorgänge von Anfang an unterstützt, um Foltervorwürfe als unglaubwürdig darzustellen.
Verfolgt werden anscheinend auch diesmal diejenigen, die Folter anprangern: als die Bürgermeisterin von Hernani am 12.1.2008
auf einer Veranstaltung der Partei EAE-ANV, die die linke Unabhängigkeitsbewegung repräsentiert, zur Solidarität mit
Portu und Sarasola aufruft, erhält sie von den dreitausend Anwesenden stehenden Beifall. Sie ruft den Tod von Joxe Arregi
in Erinnerung, der vor 27 Jahren an Folter starb: "Die Zeit ist gekommen, um zu sagen: genug ist genug!"
Bei der spanischen Justiz gibt es
offensichtlich kein Verständnis für Mitgefühl mit Folteropfern, sondern nur Vorverurteilung der noch nicht verurteilten
Männer als Terroristen. Die Staatsanwaltschaft hat auf jeden Fall bei Gericht eine Vorladung der Bürgermeisterin
wegen "Förderung des Terrorismus" beantragt, wie das Regierungsblatt El Pais zufrieden berichtet
(
Artikel in spanischer Sprache
).
Darauf stehen bis zu zwei Jahre Haft.
Die baskische Zeitung GARA berichtet über die Einlieferung von Igor Portu in die Intensivstation des Krankenhauses in
Donostia noch am selben Tag (>>>> GARA, 7. Januar 2008, spanisch):
Hunderte protestieren vor dem Krankenhaus in Donostia
gegen die Misshandlungen von Igor Portu durch die Polizei
LESAKA. Etwa 350 Menschen haben sich am Nachmittag am Eingang des Krankenhauses in Donostia unter dem Slogan
Folterer, raus hier versammelt. Sie protestieren gegen Misshandlungen von Igor Portu Juanena
durch die Polizei und zeigen Solidarität mit dem inhaftierten jungen Mann.
Der Sprecher der Bewegung "pro-Amnestie" Asier Birunbrales sagte, sie seien sehr besorgt über den
Zustand von Igor Portu und prangert an, dass "er nach 24 Stunden im Gefängnis in den Händen der Guardia Civil
krankenhausreif sei."
Birunbrales ruft das Zeugnis von Gorka Lupiaņez in Erinnerung, der "berichtete, dass er brutal vergewaltigt und
gefoltert wurde, während er in den Händen der Guardia Civil war." Er folgert, dass "wir im Lichte dieser und
anderer Aussagen der letzten 30 Jahre davon ausgehen, dass Igor Portu von der Guardia Civil gefoltert wurde."
Und deshalb richtet er folgende Frage an den Sprecher der (baskischen Autonomieregierung) Lakua, Miren Azkarate,
und an den Repräsentanten der Koalitionsregierung in Navarra, Nafarroa Bai, Uxue Boats:
"Was ist Ihre Stellungnahme zu diesen Fakten?
Ist das Gewalt oder nur ein zufälliges Vorkommnis in diesem Land?"
Er addressiert auch diejenigen Politiker, die Foltervorwürfe bisher in Frage gestellt hatten:
"Wie lange werden sie
weiterhin angesichts dieser Realität taub, stumm und blind bleiben?" Er verlangte, Portu besuchen zu dürfen,
"um einen Bericht dieser 24 Stunden aus erster Hand zu erhalten."
Sorge um Mattin Sarasola
Er äusserte ausserdem seine Sorge um den Zustand des zweiten verhafteten jungen Mannes, Mattin Sarasola. Er
appellierte an die Menschen, "gegen Gewalt gegen Inhaftierte und gegen Folter zu mobilisieren."
Zum Schluss fragte er die Verantwortlichen der Medien, "ob es nötig sei, dass erst ein junger Mann im
Baskenland krankenhausreif geschlagen wird, bevor Sie über Folter in diesem Land berichten."
Igor Portu auf der Intensivstation
Igor Portu Juanena, der gestern zusammen mit Mattin Sarasola in Arrasate verhaftet worden war, wurde heute morgen
in die Intensivstation des Krankenhauses in Donostia eingeliefert.
GARA konnte mit den Ärzten reden. Der junge Mann wurde um 3.56 eingeliefert und hat "eine Fraktur des
hinteren neunten Rippenbogens", sowie "einen gefährlichen Lufteintritt im unteren Bereich der Lunge,
Luft im linken Lungenflügel, pleurale Blutergüsse und Anzeichen kleinerer Verletzungen der Lunge."
Dazu kommen bei Igor Portu nach Aussage des Arztes "Blutergüsse an der Brust und am Rücken," sowie an der
Wirbelsäule. Sein linkes Auge zeigt ebenfalls Blutergüsse und innere Blutungen. Er leidet an dyspnea
(Schwierigkeiten zu atmen) und hat eine "gefährliche Lungenaufblähung" (die durch Luft in der Lunge
verursacht wird). Subkutane Blasen (unter der Haut) erstecken sich vom Beckenbereich bis zum Nackenbereich.
Der Krankenhausbericht gibt ausserdem an, der "Patient berichte von Schlägen mit Fäusten und Tritten
in Gesicht, Brust, Unterleib und die unteren Extremitäten." Die Knie und Gelenke zeigen "viele
Blutergüsse, Abschürfungen und Verletzungen."
Nach Lesaka gebracht
Nach der offiziellen Version, die von der Nachrichtenagentur Efe verbreitet wurde, hat sich Igor Portu
diese Verletzungen selbst zugefügt, als er verhaftet wurde, weil er "sich gegen die Verhaftung mit grossem
Widerstand wehrte".
Efe berichtet weiterhin, dass Igor Portu und Mattin Sarasola am Abend nach ihrer Verhaftung zu ihren Wohnungen
in Lesaka gebracht wurden, um diese zu durchsuchen. Dies wurde von einigen Nachbarn bestätigt.
(Die offizielle Version ist voller Widersprüche. Denn sollte Portu schon bei der Verhaftung so schwer verletzt
worden sein, ist unklar, wie er dann in Lesaka bei der Durchsuchung der Wohnung überhaupt anwesend sein konnte.)
In Lesaka fand ebenfalls am Abend nach der Verhaftung ein Treffen statt, auf dem Nachbarn der beiden verhafteten
jungen Männer ihre Besorgnis darüber äusserten, was den beiden in den Händen der Guardia Civil passieren würde.
Der Fall des jungen Mannes Gorka Lupiaņez aus Duranga, der am 6. Dezember verhaftet worden war und seine Aussage,
von den bewaffneten Kräften brutal gefoltert worden zu sein, war jedem in Erinnerung.
Um etwa 22.00 Uhr wurden die Menschen in Lesaka von mehreren Einheiten der Guardia Civil umzingelt, die zu den
Wohnungen von Igor Portu und Mattin Sarasola unterwegs waren. Ein Augenzeuge berichtet unserer Zeitung, dass sie
zuerst in das Haus der Familie Sarasola kamen, wo viele Menschen anwesend waren, um ihre Unterstützung
auszudrücken. Die Guardia Civil befahl den Anwesenden, sich zu entfernen und drohte, dass jeder, der
Solidaritätsbekundungen mit den Verhafteten rufen würde, bestraft würde.
In Arrasate verhaftet
Die Neuigkeit, dass zwei junge Männer aus Lesaka in Arrasate verhaftet worden waren, wurde am frühen Nachmittag
veröffentlicht. Nach der Version aus dem Umfeld des Innenministeriums in Madrid und des spanischen
Regierungsvertreters in Nafarroa, wurden die beiden am Sonntag Mittag verhaftet, als das Auto, in dem sie unterwegs waren,
an einem Kontrollpunkt der Acción Rural de la Guardia Civil (GAR) in Arrasate gestoppt wurde.
Seither sind Mattin Sarasola und Igor Portu incommunicado (also ohne jeglichen Kontakt zur Aussenwelt).
Als der Bürgermeister von Lesaka, Koldo Erkizia (EA), sich bei Vertretern der spanischen Regierung in Iruņea
nach den beiden jungen Männern aus seiner Stadt erkundigte, bestätigten diese die Verhaftung.
Etliche Presseagenturen und Zeitungen berichten unter Berufung auf Quellen des FSE, dass die beiden angeblichen
ETA Aktivisten zwei Revolver bei sich gehabt hätten, die in Cellophanpapier verpackt waren.
Die Tageszeitung El País berichtet, dass die Operation der GAR kein Zufall war, sondern zu einer Reihe von
"verschärften Massnahmen" mit vielen Kontrollstellen der Guardia Civil gehöre, die den ganzen Dezember
über durchgeführt wurden.
Die Nachrichtenagentur Efe fügt hinzu, dass "die Pistolen scheinbar erst kürzlich zur Verfügung gestellt
worden waren" und dass die Verhaftung im Zusammenhang mit Gorka Lupiaņez stehen könnten.