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Interview des Schriftstellers Raul Zelnik mit Urko Aiarza, Vertreter der verbotenen baskischen Partei Batasuna (veröffentlicht im ak 5/2006):

„Es geht nicht um Unabhängigkeit,

es geht um demokratische Rechte“

s. Hompage Raul Zelnik, textarchiv, März 2006

Am 23. März hat die baskische Untergrundorganisation ETA einen „permanenten Waffenstillstand“ verkündet, um „einem demokratischen Prozess im Baskenland den Weg zu ebnen“. Der Erklärung vorausgegangen sind 6 Jahre Gespräche zwischen der PSE, dem baskischen Ableger der in Madrid regierenden Sozialisten, und der illegalen baskischen Linkspartei Batasuna sowie Kontakte zwischen der spanischen Regierung und ETA in Oslo und Genf. Die Erklärung ETAs ist noch nicht gleichzusetzen mit einer Lösung des Konflikts. Man scheint sich vielmehr darüber verständigt zu haben, dass auf zwei Ebenen verhandelt werden kann: Madrid und ETA werden über die definitive Einstellung des bewaffneten Kampfs sowie die Zukunft der 800 politischen Gefangenen und ca. 2000 Flüchtlinge sprechen. Über die Zukunft des Baskenlands sollen hingegen ausschließlich die in der Region vertretenen Parteien diskutieren und einen Referendumstext erarbeiten, der der Bevölkerung in einigen Jahren zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Ob es jemals zu einer Einigung kommen wird, steht in den Sternen: Die spanischen Sozialisten vertreten weiterhin die Meinung, eine Lösung außerhalb der Verfassung sei undenkbar. Die spanische Verfassung jedoch verbietet die Durchführung eines Referendums, wie sie von der Mehrheit der baskischen BürgerInnen gewollt wird.
(Anmerkung Uschi Grandel, 1.1.2008: ETA hat den Waffenstillstand mittlerweile wieder aufgekündigt, die spanische Regierung hat mit der Verhaftung grosser Teile der Führung von Batasuna im Oktober 2007 den Kurs Richtung Respression statt Dialog genommen. Zumindest bis zu den spanischen Wahlen im Frühjahr 2008 sind Schritte in Richtung Konfliktlösung eher unwahrscheinlich.)

Urko, du bist als Vertreter von Batasuna auf Rundreise. Wie ist das möglich? Immerhin steht ihr auf der Terrorliste der EU, und die spanische Regierung hat angekündigt, das gegen euch erlassene Parteiengesetz nicht zurücknehmen zu wollen.

Es ist ziemlich kafkaesk. Unser Kongress ist vor kurzem verboten worden und mehrere unserer Sprecher stehen mit einem Bein im Gefängnis, gleichzeitig werden wir vom baskischen Ministerpräsidenten offiziell zu Gesprächen eingeladen, haben unlängst im Europaparlament unseren Friedensvorschlag vorgestellt und sind als Verhandlungspartner im Konflikt auch von Madrid anerkannt worden. In gewisser Hinsicht haben wir die Illegalisierung besiegt.

Im Baskenland ist schon vor dem ETA-Waffenstillstand viel von einem Friedensprozess die Rede gewesen. Mit Ausnahme der PP sprechen alle Parteien von einer demokratischen Lösung. Geht der Konflikt seinem Ende zu?

Seit Batasuna im November 2004 den Vorschlag Orain Herria, orain Bakea (übersetzt etwa: Jetzt soll die Bevölkerung entscheiden, jetzt Frieden) vorgelegt hat, hat es sehr viele Kontakte mit sozialen und politischen Akteuren gegeben. In der baskischen Gesellschaft ist viel in Bewegung geraten: Die spanisch sozialdemokratische UGT-Gewerkschaft und LAB, die baskische Linksgewerkschaft, haben ein gemeinsames Dokument diskutiert, Parteien wie Eusko Alkartasuna, die lange nicht gemeinsam mit Batasuna demonstriert hatten, haben sich an Kundgebungen gegen die spanische Verbotspolitik beteiligt. Diese ganzen Bewegungen sind Grundlage einer Lösung. Ich würde sagen: Wir stehen an der Eingangstür eines Verhandlungsprozesses.

Diese Annäherungen haben innerhalb des spanischen Staates zu heftigen Spannungen geführt. Früher hat die Rechte in solchen Fällen offen mit Putsch gedroht. Die Armee ist laut Verfassung ja immer noch Garant der Einheit Spaniens. Man hat den Eindruck, dass die Kontakte heute auf andere Weise gestoppt werden sollen. Neue Terrorverfahren sind aufgerollt worden, die nach der alten Strafvollzugsordnung einsitzenden Gefangenen sollen im Nachhinein das Recht auf Verkürzung ihrer Strafen verlieren, es hat große Demonstrationen gegen mögliche Verhandlungen gegeben, und Ende Februar ist ein Gefangener erhängt in der Zelle gefunden worden. Die Indizien deuten in seinem Fall nicht gerade auf einen Selbstmord hin.

Die letzten Monate haben die strukturelle Krise des spanischen Staates offensichtlich gemacht. Schon die 1998 in Lizarra (Navarra) geschlossene Vereinbarung zwischen der Mehrheit der sozialen und politischen Akteure im Baskenland – ein Abkommen, das von der baskischen Christdemokratie über Izquierda Unida bis hin zu Batasuna getragen wurde – hat gezeigt, dass die 1978 verabschiedeten Autonomiegesetze an eine Grenze gelangt sind. Die PP hat die Krise des spanischen Staats mit Repression zu kaschieren versucht, aber nicht stoppen können. Jetzt versucht sie zusammen mit einer Minderheit der spanischen Sozialisten, eine politische Lösung der Krise zu verhindern. In dem Zusammenhang muss man wissen, dass die PP während ihrer Regierungszeit sehr geschickt eigene Leute im Staatsapparat positioniert hat. Sie hat also die Möglichkeiten, Annäherungen zu unterlaufen.

Andererseits hat die Zapatero-Regierung aber ein reales Interesse an einer politischen Lösung. Alle spanischen Regierungen der vergangenen 25 Jahre sind im Zusammenhang mit dem baskischen Konflikt gestürzt. Die Regierungen Calvo Sotelo und Adolfo Suárez brachen Anfang der 1980er Jahre auseinander, nachdem es Unruhe in der Rechten und den Putschversuch von Tejero gegeben hatte; ein Putsch, bei dem es ausdrücklich um die Aufrechterhaltung eines autoritären, zentralistischen Spaniens ging. Ministerpräsident Felipe González stürzte Mitte der 1990er Jahre, weil die Sozialisten die GAL-Todesschwadronen aufbauen lassen hatten, um baskische Linke aus dem Weg zu räumen. Und Aznar schließlich wurde nach den Anschlägen vom 11. März 2004 abgewählt, weil er und die PP versucht hatten, die Attentate gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung zu instrumentalisieren und trotz gegenteiliger Erkenntnisse behaupteten, ETA hätte die Bomben gelegt.

Wir werden sehen, ob die PSOE den Konflikt tatsächlich lösen will. In einer Hinsicht stimmen wir mit Zapatero aber überein: Ein Friedensprozess wird für alle Beteiligten lang, hart und schwierig werden.

Ich sehe nicht, wie es eine Lösung geben kann. Die Positionen sind im Prinzip unversöhnlich. Ein beträchtlicher Teil der baskischen Gesellschaft fordert eine – wie auch immer geartete – Unabhängigkeit. Die Regierung Zapatero kann dieser Unabhängigkeit niemals zustimmen, denn die spanische Gesellschaft ist ihrerseits viel zu nationalistisch, um einer Schwächung Spaniens zuzustimmen.

Die Lösung besteht nicht darin, dass die Regierung der Unabhängigkeit zustimmt, sondern dass alle Beteiligten demokratische Spielregeln anerkennen. Alle müssen das Recht der Baskinnen und Basken akzeptieren, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Wenn dieses Grundrecht respektiert wird, ist der bewaffnete Konflikt beendet. Die verschiedenen Akteure werden politisch versuchen, die Bevölkerung von ihren Projekten zu überzeugen: Wir werden für eine Unabhängigkeit eintreten, die PSOE für eine Autonomie im Rahmen der konstitutionellen Monarchie. Es geht also nicht um die Frage <Unabhängigkeit – ja oder nein?>, sondern um <demokratische Rechte – ja oder nein?>.

Wer sind die Basken, von denen du sprichst? Die Menschen mit baskischem Nachnamen, die Leute, die seit mindestens 30 Jahren im Land leben?

Für die baskische Linke ist die Definition seit den 1960er Jahren eindeutig: Basken sind alle Frauen und Männer, die im Baskenland leben und arbeiten. Unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer ideologischen Ausrichtung, ihrer Sprache oder identitären Zuordnung.

Und was ist mit denen, die nicht arbeiten? Den Arbeitslosen?

(lacht) Wenn wir von der Arbeiterklasse sprechen, dann meinen wir damit natürlich auch die Arbeitslosen. Und die illegalen Arbeiter, die Sans Papiers. Sie alle müssen über die Zukunft des Baskenlands entscheiden können.

Trotzdem: Warum glaubt ihr, dass eine Lösung möglich ist. ETA hat den bewaffneten Kampf nach dem Frankismus deswegen weitergeführt, weil sich Madrid weigerte, über ein demokratisches Minimalprogramm namens Alternativa KAS zu diskutieren. Die Schlüsselfragen darin waren das Selbstbestimmungsrecht und die Berücksichtigung der Region Navarra bei Verhandlungen. Diese beiden Fragen sind bis heute die zentralen Streitpunkte. Mitte der 1990er hat ETA die so genannte „demokratische Alternative“ vorgestellt: Einstellung des bewaffneten Kampfs gegen die Durchführung einer demokratischen Befragung der Bevölkerung. Genau das will Madrid nicht zulassen. Es gibt mittlerweile ein Gesetz, das die Durchführung eines solchen Referendums unter Strafe stellt.

Das Selbstbestimmungsrecht ist keine Forderung der baskischen Linken. Es handelt sich um ein international verbürgtes Recht, das von der Mehrheit der baskischen Gesellschaft anerkannt wird. Bei Meinungsumfragen sagen auch die baskischen Wähler der PSOE mehrheitlich, dass das Selbstbestimmungsrecht existiert. Eine andere Frage ist, was der Gesellschaft überhaupt zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Das müssen die Konfliktparteien ausdiskutieren und möglichst als Konsens formulieren: Wir sind bereit, über alle Modelle einer solchen Befragung zu sprechen. Wie lange man sich dafür Zeit nimmt, wie ein Konsens über die Befragung hergestellt werden kann etc. Und im übrigen wollen wir auch, dass sich die baskische PP an einer solchen Vereinbarung beteiligt. Sie ist eine der vier großen Parteien in der Region und auch ihre Vorstellungen müssen zur Wahl stehen.

Andererseits hast du natürlich Recht: Wenn der spanische Staat das Recht der Gesellschaft, demokratisch selbst zu entscheiden, nicht anerkennt, dann wird es keine Lösung des Konflikts geben.

Die zweite große Frage ist die nach der Territorialität des Baskenlands. Für uns ist das nicht gleichbedeutend mit territorialer Einheit. Für uns geht es vielmehr darum, dass es einen Konflikt in einem Land gibt und er in diesem ganzen Land gelöst werden muss. Also auch in Navarra und im französischen Baskenland. Wie jedoch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Regionen aussehen könnten, dass müssen die Bewohner dieser Landesteile selbst herausfinden. Ob die Menschen in Navarra zu Spanien gehören möchten oder zum Baskenland oder ob sie noch etwas ganz Anderes wollen, müssen sie entscheiden. Aber es muss anerkannt werden, dass sich das Problem auch in Navarra stellt und nicht nur in den drei Provinzen, die Madrid als baskisch betrachtet.

Eine solche Befragung ist illegal. Zudem verbietet die spanische Verfassung, die Integrität der Nation in Frage zu stellen.

Wenn der spanische Staat, um das demokratische Recht im Baskenland anzuerkennen, seine Verfassung ändern muss, dann muss er sie halt ändern.

Es ist nicht der erste Verhandlungsprozess. 1989 hat ETA offiziell mit Madrid in Algerien verhandelt. 1998 gab es das Abkommen von Lizarra, worin sich baskische Parteien und Gewerkschaften über ein Selbstbestimmungsrecht und den Aufbau eines Parallelparlaments aus Gemeinderäten des ganzen Baskenlands verständigten. Worin unterscheidet sich die Initiative jetzt?

Ich würde diese Verhandlungsprozesse in einer Linie sehen. Mit den Gesprächen 1989 in Algerien hat der spanische Staat die baskische Linke als Konfliktpartei anerkannt. Ein weiterer Staat, nämlich Algerien, behandelte beide Seiten als gleichberechtigte Parteien. Das große Manko dieser Gespräche war jedoch, dass andere politische Akteure nicht involviert wurden. Es handelte sich um ein klassisches Modell von Verhandlungen, wie man es aus Lateinamerika kannte: Ein Staat sprach mit einer bewaffneten Organisation, die Gesellschaft blieb außen vor.

Die Abkommen von Lizarra und Garazi 1998 und 1999 haben in dieser Hinsicht einen Schritt weiter geführt. Soziale und politische Organisationen – und zwar auch nicht-nationalistische wie Izquierda Unida – haben sich darin zu dem Recht auf eine demokratische Entscheidung bekannt. Das Problem an diesem stark von den Ereignissen in Nordirland beeinflussten Prozess war, dass die Aznar-Regierung nicht die geringste Bereitschaft zu einer politischen Lösung besaß. Ihren Widerstand hätte man nur brechen können, wenn die baskischen Parteien sich dem Zentralstaat geschlossen widersetzt hätten. Die baskische Rechte jedoch, also die christdemokratische PNV, war nicht gewillt, diese Konfrontation einzugehen.

Die Abkommen von Lizarra und Garazi sahen Gespräche mit Madrid vor. Die PP hat diese Verhandlungen sehr drastisch interpretiert. Sie hat sich in Zürich mit ETA getroffen und dann unmittelbar nach dem Treffen die Verhandlungsführer von ETA verhaften lassen. Das sagt, denke ich, alles über das Verständnis der PP vom Konflikt.

Heute befinden wir uns in einer dritten Phase. Die baskische Linke ist als Konfliktpartei anerkannt und es gibt einen Minimalkonsens der progressiven Teile der Gesellschaft. Es geht jetzt darum, dass die drei großen politischen Strömungen im Baskenland - Befürwortung der Unabhängigkeit (also unsere Position), der Autonomie (wie sie die PNV vertritt) und der Identifikation mit Spanien (wofür PSOE und PP eintreten) – Fragen ausarbeiten, über die die Gesellschaft abstimmen kann.

Ich denke, dass der Batasuna-Vorschlag, zwei getrennte Verhandlungsszenarien einzurichten, sehr sinnvoll ist. Die politischen Fragen sollten von den politischen Akteuren im Baskenland diskutiert werden. Madrid und ETA sollten sich in einem getrennten Verhandlungsprozess mit den Fragen auseinandersetzen, die den bewaffneten Konflikt betreffen. Auf diese Weise haben alle Akteure eine Rolle, ohne dass es eine Form des politischen Diktats geben kann.

Warum interessiert ihr euch als Linke überhaupt für nationale Unabhängigkeit? Jugoslawien ist doch ein fürchterliches Beispiel. Dort ist nicht nur ein einigermaßen solidarischer Verbund zerschlagen – und damit das Armutsgefälle zwischen Slowenien und Kosova vertieft –, sondern auch ein unglaublich brutaler Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen worden.

Batasuna tritt für Unabhängigkeit und Sozialismus ein. Leider scheint Unabhängigkeit unter den heutigen Bedingungen nur möglich zu sein, wenn man zuvor einen Nationalstaat gründet, denn kein existierender Staat der Welt hat bislang auf seine Eigenschaften als Staat verzichtet. Andererseits sind wir uns als Linke auch keineswegs sicher, ob sich Unabhängigkeit, wie wir sie verstehen, wirklich mit einer Staatengründung erreichen lässt. Wir begreifen unter Unabhängigkeit nämlich die Fähigkeit, unsere Rechte ausüben und eine freie, egalitäre Gesellschaft aufzubauen. Genau das ist heute zunehmend in Frage gestellt. Viele Staaten in der Welt sind zwar formal unabhängig, aber ihre BürgerInnen kontrollieren die Ökonomien der Länder nicht.

Uns geht es deshalb nicht um Nationalfahnen und Hymnen, sondern darum, dass die Menschen, die das Baskenland bilden, besser leben können. Und wir würden uns wünschen, dass diese Unabhängigkeit in Form eines föderalen Europas freier Frauen und Männer möglich ist. Das Baskenland hatte nie einen eigenen Staat, aber immer den Wunsch, unabhängig entscheiden zu können. Aus unserer Sicht muss es nicht unbedingt einen neuen Staat geben.

Von einem Volk oder Land zu sprechen – egal, wie offen man das versteht – hat immer etwas Ausschließendes. Wo beginnt das Land, von dem du sprichst, und wie verständigt man sich darüber? In Navarra gibt es Dörfer, die sich komplett als euskaldun begreifen und zehn Kilometer weiter fühlt man sich genauso überzeugt als Spanier. Ich glaube, eine Unabhängigkeitsbewegung impliziert irgendwann Ethnisierungen wie in Jugoslawien. Menschen, die zuvor alles mögliche waren, wurden plötzlich gezwungen, sich als Serben, Kroaten oder Bosnier zu positionieren.

Ich glaube nicht, dass es bei uns so eine Dynamik geben könnte. Unsere Gesellschaft diskutiert ja nicht über die Grenzen des Baskenlands. Die Leute sind sich uneinig, ob das Land unabhängig sein soll oder nicht. Aber auch die diejenigen, die sich als Spanier empfinden, würden sagen, dass sie im Baskenland leben.

Ethnische Forderungen spielen dabei wirklich überhaupt keine Rolle. Niemand beruft sich auf Ethnizität, die baskische Linke schon gar nicht. Seit der Gründung der baskischen Linken haben Leute, die aus anderen Teilen der Halbinsel immigriert waren, immer eine zentrale Rolle gespielt. Viele Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung stammen aus andalusischen, Madrider oder Pariser Familien. Etwas anderes ist, dass wir Sprache und Kultur als ein Gut unseres Landes betrachten und mögen. Aber das ist ja überhaupt nicht exklusiv. Die baskische Sprache haben fast alle neu lernen müssen. Das ist ein Projekt, an dem sich jeder beteiligen kann. Und auch sonst ist die baskische Kultur keine geschlossene Veranstaltung, sondern eine partizipatorische Praxis.

Ihr seid heute sehr isoliert. Das hat zum einen mit dem Desinteresse der Linken in Europa zu tun, den Konflikt zu verstehen, zum anderen damit, wie ihr euch selbst präsentiert. Im Baskenland trifft man auf eine radikale Gewerkschaftsarbeit, breite soziale Bewegungen, eine progressive Presse. Nachdem Batasuna verboten wurde, hat die baskische Linke als Kommunisten des Baskenlands kandidiert – die Listen wurden von Feministinnen, Gewerkschafterinnen und Globalisierungskritikern angeführt. Aber wenn ihr als Linke in Brüssel demonstriert, zieht ihr euch Folklore-Kleider an und tragt eine riesige baskische Fahne. Mit ETA ist es sogar noch schlimmer: eine linke Organisation, die in allen lateinamerikanischen Bewegungen Internationalisten hat, lässt sich bei Interviews unter irgendwelchen aus dem Mittelalter stammenden Regionalwappen abbilden. Warum dieser Schwachsinn?

Der nationale Konflikt überschattet einfach vieles. Wir vergessen deshalb oft, die politische Arbeit, die wir täglich in den sozialen Bewegungen machen, auch nach außen darzustellen. Tatsächlich sind das ja Kämpfe, die viel mit anderen sozialen Auseinandersetzungen in Europa und in der Welt zu tun haben.

Andererseits sind wir aber eben auch der Überzeugung, dass ein linkes Projekt in unseren Fall einen institutionellen Rahmen braucht, einen Ort, an dem wir entscheiden können. Wir können unser gesellschaftliches Projekt als Linke – mit dem relativ großen Einfluss, den wir in der Gesellschaft besitzen – nicht umsetzen, solange uns Madrid und Paris das Recht auf eine Gestaltung verweigern.

Das überzeugt mich nicht wirklich. In Spanien gibt es heute drei große Themen. An den Außengrenzen sterben deutlich mehr Menschen als früher an der innerdeutschen Grenze, die Beschäftigungsverhältnisse sind extrem prekarisiert, und die eng mit der Korruption der politischen Klasse verwobene Immobilienspekulation wandelt Städte und Landschaften radikal um. Warum kämpft ihr in einer solchen Situation für neue Grenzen, anstatt für die Abschaffung von Grenzen? Warum für eine souveräne baskische Wirtschafts- und Sozialpolitik und nicht lieber für eine antikapitalistische Politik?

Wir glauben, dass der Aufbau einer anderen Gesellschaft mit der Frage der Unabhängigkeit verknüpft ist. Zum Beispiel wollen wir eine andere Migrationspolitik machen. Bei uns hat Migration nämlich immer eine große Rolle gespielt: sowohl die Zu- als auch die Abwanderung. Das Problem ist nur: Man lässt uns nicht. Genauso die beschissenen Beschäftigungsverhältnisse und die Immobilienspekulation: Wir wollen eine soziale und ökonomische Politik, und es gibt im Baskenland auch eine Mehrheit dafür. Aber diese Mehrheit findet im Rahmen Spaniens kein Gehör. Der institutionelle Rahmen erlaubt uns nicht, eine alternative Sozial- und Wirtschaftspolitik zu entwickeln.

Wir kämpfen deshalb nicht für neue Grenzen. Wir wissen, was Grenzen bedeuten. Unserem Land hat man welche aufgezwungen. Was wir wollen, ist ein Ort, um eine andere, eine linke Politik realisieren zu können.

Der Nationalismus wäre überholt, wenn die spanische Gesellschaft nicht so rechts wäre?

Klar. Und wir wären auch überzeugte Anhänger Europas, wenn die europäischen Staaten ihre Grenzen abschaffen würden. Aber das existierende Europa ist ja nicht das der freien Frauen und Männer. Das real existierende Europa ist das des Kapitals und der umfassenden polizeistaatlichen Kontrolle.

Das ist das eigenartige an unserem Konflikt: Uns ist historisch eine Nationalstaatlichkeit aufgezwungen worden, und jetzt kritisiert man, wir wollten neuen Grenzen schaffen. Gleichzeitig stellt aber niemand, auch die meisten europäischen Linken nicht, Staaten als solche in Frage.

Es heißt, der bewaffnete Kampf sei anachronistisch. ETA hat in ihrer Organisationsgeschichte viele politische und moralische Katastrophen zu verantworten gehabt. Trotzdem würde ich behaupten, dass die Organisation auch eine positive Rolle gespielt hat: Die baskische Gesellschaft ist bis heute auffallend kritisch politisiert und zwar auch deshalb, weil ETA Konflikte immer wieder sichtbar gemacht und Positionierungen erzwungen hat. Die baskische Christdemokratie ist heute in mancher Hinsicht progressiver als die spanischen oder französischen Sozialisten.

Die Frage, was ein Anachronismus ist, sollte man genauer diskutieren. Der bewaffnete Widerstand entspringt ja meistens nicht irgendeiner fixen Idee, sondern hat damit zu tun, dass Menschen keine andere Wahl gelassen wird. ETA gibt es seit mittlerweile 50 Jahren. Bis 1968 hat die Organisation ausschließlich Propagandaaktionen gemacht. Dass ETA dann auch angefangen hat, gezielt Menschen zu töten, hatte mit der Haltung der Franco-Diktatur zu tun. Weil die sogenannte Demokratisierung ab 1976 die Ursachen des Konflikts nicht beseitigte, hat ein Teil der baskischen Gesellschaft am bewaffneten Kampf festgehalten. ETA ist in dieser Hinsicht Teil der gesellschaftlichen Realität geworden. Manche Aktivisten heute stammen aus der dritten Generation, schon ihre Großeltern waren manchmal im Gefängnis. Und deshalb finde ich – obwohl in der ETA-Geschichte viel Schreckliches geschehen ist –, dass die Existenz der Organisation bestimmte Vorstellungen in der Gesellschaft verankert hat.

Wie sehen jetzt die konkreten Voraussetzungen für einen Friedensprozess aus?

Politische Gespräche kann es nur in einem Klima der Entspannung geben. Das heißt, die bewaffnete Auseinandersetzung muss ausgesetzt werden: ETA hat einen Waffenstillstand erklärt, der spanische Staat muss jetzt die Repression einstellen. Diese Entwicklung wird umso unumkehrbarer, desto mehr sich die politischen Akteure im Baskenland über eine Methodologie von politischen Verhandlungen verständigen.

Die Voraussetzungen für direkte Gespräche sind nach und nach geschaffen worden. ETA hat schon seit drei Jahren niemanden mehr getötet, die Zapatero-Regierung sich im Mai 2005 vom Kongress die Unterstützung für Verhandlungen zusichern lassen. Im vergangenen August stellte ETA die Aktionen gegen Mandatsträger von PP und PSOE eingestellt.

Haben die Entwicklungen irgendetwas mit dem neuen katalanischen Autonomiestatut zu tun? Dort scheint es ja eher um eine fiskalpolitische Umverteilung zugunsten der katalanischen Eliten zu gehen.

Das sind sehr unterschiedliche Prozesse. Im Baskenland geht es um die Lösung eines 50 Jahre alten politischen Konflikts, in Katalonien um eine Ausweitung der Autonomie. Meiner Meinung nach besteht die Verbindung darin, dass beide Probleme Ausdruck der strukturellen Krise des spanischen Staates sind und von Madrid auch so wahrgenommen werden.

Die Stärke der sozialen Bewegungen im Baskenland hat – das mag paradox erscheinen – viel mit dem nationalen Konflikt zu tun. Werden auch die Bewegungen demobilisiert, wenn ETA die Waffen niederlegt?

Dass so etwas passieren kann, lässt sich an vielen lateinamerikanischen und afrikanischen Befreiungsbewegungen beobachten. Die von uns vorgeschlagene Verhandlungsmethodologie versucht das zu berücksichtigen. Wir wollen nicht, dass die Gesellschaft die Lösung eines Konflikts an bewaffnete Akteure delegiert. Das neue Batasuna-Programm Bide Eginez, (etwa: „Weg bereitend“) spricht davon, dass die sozialistische, unabhängige Gesellschaft, wie wir sie anstreben, Stück für Stück in täglichen Kämpfen entsteht. Ich glaube, dass wir dabei einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Befreiungsbewegungen haben. Die baskische Linke war nie militaristisch, auch wenn das von außen betrachtet anders erscheint, ich würde sie sogar antimilitaristisch nennen. Es hat immer ein dichtes Geflecht von sozialen Bewegungen gegeben. Trotzdem bleibt das natürlich die große Frage: Wie kann man von einem Kampf gegen Unterdrücker zum Aufbau einer anderen Gesellschaft übergehen?


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