Nordirland zwischen Hoffnung und Aufbruch

Das Wochenende an dem wir in Irland ankamen, war gekennzeichnet von Brandanschlägen und Einschüchterungen quer über ganz Nordirland.
Fünf Taxis und ein Minibus gingen in West-Belfast in Flammen auf. In der Lower Ormeau Road wurden zwei katholische Familien morgens um fünf Uhr mit Benzinbomben angegriffen. Ein Brandstiftergerät wurde in einem Lager in Armagh gefunden und ein zweiter in einem Geschäft für Campingartikel in der City von Belfast. Ständig waren in den Medien Berichte zu hören, von Menschen, die durch loyalistische Terrorgruppen aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben wurden. In den letzten drei Monaten kam es zu 700 dieser Vertreibungen. Auf loyalistischer Seite ist von einem Waffenstillstand nichts zu spüren.Bei unserem Besuch auf der Shankill Road konnten wir eine bedrohliche Stimmung feststellen. Gegen 17:00 Uhr waren bis auf einige wenige, alle Geschäfte geschlossen. Die wenigen Leute, die uns auf der Straße begegneten, waren alle sehr in Eile.

Opfer staatlicher Gewalt

Eine Tatsache, von der auch nicht gerne geredet wird, sind die gewalttätigen Übergriffe von RUC(Royal Ulster Constabulary), Armee und diversen Geheimdienstagenten, die absichtlich verübt und nie aufgeklärt wurden, weil sie angeblich dazu dienten, Gräultaten zu verhindern. In den vergangenen 30 Jahren wurden von britischen Streitkräften ca. 400 Menschen ermordet, darunter waren auch ca. 60 Kinder. Zahllose andere ließen ihr Leben als Resultat der Kollusion zwischen diesen Streitkräften und loyalistischen Todesschwadronen.
Die Unterdrückung von Beweisen und wichtigen Informationen, die Manipulation, der Missbrauch und die Verzerrung der Rechtsordnung zum eigenen Nutzen, sowie die Kontrolle der Medien habe in den letzten 30 Jahren dazu geführt, dass diese Morde weniger Beachtung erhielten, als Gewalttaten, die gegen das Land und dessen Status Quo ausgeführt wurden. Diese erhalten mehr Anerkennung, Gehör und Unterstützung. In der Vergangenheit hat sich dieser Missbrauch ausgebreitet. Es zeichnet sich eine deutliche Ungleichheit ab, von denjenigen, die Gewalt von republikanischen Gruppen erlebten und denen, die Gewalt durch britische Streitkräfte, oder "Todesschwadronen", die von ihnen unterstützt wurden, erlebten. Die Konsequenz ist, dass es "würdige" und "unwürdige" Opfer gibt. Nach dem Waffenstillstand haben viele Verwandte von Opfern damit begonnen, die Vergangenheit zu reflektieren und über die schrecklichen Ereignisse zu sprechen, viele zum ersten Mal. Der Versuch jedoch der britischen Regierung, die Hoffnungen und "Nöte" der Betroffenen zu dämpfen, bestätigt lediglich die Sicht der Verwandten, dass diese Gewalttaten nicht freiwillig einbezogen werden in den neuen Prozess und erkämpft werden müssen. Für die Verwandten ist es jedoch wichtig dass all diese unaufgeklärten Menschenrechtsverletzungen endlich untersucht werden, es erleichtert ihnen die Belastungen der Vergangenheit zu verarbeiten und hilft den Kummer und Schmerz zu lindern.
Armee, RUC und die diversen Geheimdienstagenten müssen verantwortlich sein und nicht eigenmächtig über den Gesetzen stehen. Die Verwandten haben ein Recht darauf, Antworten zu erhalten, auf ihre Fragen die sie schon seit Jahren stellen. Sie dürfe nicht abgewiesen werden und dass man ihnen erzählt, dass ihr Leid anders sei, als das der, die gesetzlich begünstigt waren in ihrer Stellung oder die getötet wurden von nicht staatlichen Gruppen. Wenn sich in dem Konflikt in Irland wirklich ein Ende abzeichnet und wenn das Wesentliche in dem Prozess aufrichtig ist , dann müssen diese staatlichen Gewalttaten integriert werden. Was bleibt, ist die Verpflichtung der britischen Regierung zur Übernahme der Verantwortung dieser Vorfälle und die Einleitung entsprechender Untersuchungen.

Ex - Gefangene

Mit der Entlassung der letzten politischen Gefangenen im Juli diesen Jahres, was Bestandteil des Karfreitagsabkommen war, tut sich ein neuer Brennpunkt auf.
Zwischen 1969 und 1999 waren 15.000 Republikaner inhaftiert, gemeinsam haben sie über 100.000 Jahre in Gefängnissen in Irland, England, Europa und in den USA abgesessen. Im Schnitt hat jeder von ihnen 13 Jahre hinter Gitter verbracht.
Viele von ihnen finden sich nur schwer in der neugewonnen Freiheit zurecht. Arbeitslosigkeit und die Tatsache als Vorbestrafte keine Chance auf einen Job zu haben, sowie die damit einhergehenden finanziellen Sorgen, machen ihnen zu schaffen.Wenn sie Arbeit finden, sind es in der Regel schlecht bezahlte Jobs und auch oft ohne soziale Absicherung. Dazu kommt dass vielen ihre Familien fremd geworden sind, sie kennen ihre Kinder kaum und vermissen die Freunde aus der Haftzeit, die sie über Jahre gestützt und aufgefangen haben. Viele wünschen sich in den Gefängnisalltag zurück, der ihnen zur Routine geworden war und eine gewisse Sicherheit vermittelte.
Die Coiste na n-Iarchimi versucht diese Ex - Gefangenen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. In den letzten Jahren wurden 17 örtliche Gruppen in ganz Irland gegründet, die vor Ort Betroffenen und ihre Familien unterstützen, weitere sind geplant. Coiste ist der Überzeugung dass die volle Versöhnung nicht erreicht werden kann, wenn politische Gefangene ihre Inhaftierung verbergen müssen, die irische Gesellschaft Nord und Süd muss die Ex - Gefangenen als gleichwertige Menschen akzeptieren. Sie setzen sich ein für eine Amnestie aller politischen Gefangenen ein, damit diese ohne die Einschränkungen der Vorstrafe sich eine neue Zukunft aufbauen können. Als Vorbestrafte ist ihnen unter anderem die Einreise nach Australien und den USA nicht erlaubt.

Portadown

Wenn sich in einigen Gebieten von Nordirland schon eine gewisse Aufbruchstimmung erkennen lässt, so ist in Portadown, einer Hochburg der Loyalisten, davon absolut nichts zu spüren.
Portadown ist eine vornehmlich unionistische/protestantische Stadt in der Grafschaft Armagh mit einem Gesamtbevölkerungsanteil von 28.000 Menschen. Die Nationalisten/Katholiken sind mit 6000 in der Minderheit. Sie leben fast alle im Gebiet entlang der Garvaghy Road oder im kleineren Obins Street Gebiet, im Nordwesten der Stadt. Viele von ihnen leben dort, weil sie durch pro-britische Paramilitärs gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden.
Die nationalistische Bevölkerung fühlt sich nur in ihren eigenen Wohngebieten sicher. In den letzten Jahren wurden viele von ihnen von loyalistischen Todesschwadronen im Bereich des Stadtzentrums ermordet. Etliche andere wurden angegriffen und verletzt. Für den katholischen Teil der Bevölkerung kann der Einkauf oder das Erledigen von Bankgeschäften lebensbedrohlich werden. Kein Nationalist traut sich nach 17:00 Uhr ins Stadtzentrum. Für diese Menschen stellt das ein riesiges Problem dar, denn die Garvaghy Road ist ein reines Wohngebiet, außer einer Poststelle und einem kleinen Lebensmittelladen ist dort nichts vorhanden. Ebenso werden sie benachteiligt, wenn es darum geht Arbeitstellen zu besetzen, Loyalisten werden bevorzugt. In Postämter oder Geschäften weigern sich Unionisten von Nationalisten bedienen zu lassen.Die Diskriminierungen erreichen ihren Höhepunkt während der Marsch Saison, in dieser Zeit sind die Nationalisten ganz extrem den Schikanen und Übergriffen ausgesetzt.
Jedes Jahr werden dort vom Oranier Orden, den Apprentice Boys, der Royal Black Preceptory und anderen loyalistischen Gruppen an die 40 Märsche organisiert. Mit einer Ausnahme, dass der Rückweg der Drumcree Parade entlang der Drumcree und der Garvaghy Road geht, alle anderen gehen in unionistische Bezirke. In diesen umstrittenen Gebieten weigern sich die Loyalisten mit den Anwohnern zu reden um die nationalistischen Gebiete zu meiden. Der loyalistische Orden führt an, dass die Garvaghy Road Resident's Coalition nicht die Vertreter der örtlichen Gemeinden seien. In Portadown ist die katholische Bevölkerung aber durch diese Organisation, eine Dachorganisation, die örtliche Gemeinschaft und die niedergelassenen Gruppen vertreten. Ein alternativer Weg, der das ganze Garvaghy Road Gebiet meidet, ist vorhanden.
Dieses Jahr wurde dem Oranier Orden wieder der Marsch durch dieses Gebiet verboten.Für die Bewohner bedeutet es, tagelang in ihrem Wohnviertel eingesperrt zu sein und die ständige Angst vor Übergriffen von Anhängern des Ordens, Auf Unterstützung der RUC brauchen sie nicht zu hoffen, da viele RUC-Beamte selbst Mitglieder sind oder mir ihnen symphatisieren. Somit sind diese Menschen auch ständig Schikanen der Polizei ausgesetzt. Dass diese Angst nicht unberechtigt ist zeigt die Vergangenheit. Seit dem Drumcree Marsch im Juli 1998 wurden vier Menschen ermordet, darunter drei Kinder, deren Mutter katholisch war.
David Trimble, First Minister und Vorsitzender der Ulster Unionist Party (UUP) ist ebenfalls Mitglied im Oranier Orden. Von dem Zeitpunkt seiner Wahl im Jahre 1990 bis 1999 weigerte er sich, mit den Anwohnern der Garvaghy Road zu sprechen. Erst nach einem Besuch in den USA, bei dem über 100 Mitglieder des Kongresses ihm einen Brief überreichten, in welchem sie ihn dazu drängten, endlich Gespräche aufzunehmen, kam es zu zwei kurzen Treffen. Er hatte all die Jahre, in denen er die Gespräche verweigerte, keine Probleme damit, sich im Juli 1997 in Drumcree mit Billy Wright zu treffen. Billy Wright war Mitglied einer "Todesschwadron" aus Portadown, die verantwortlich ist für die Ermordung von über 150 Katholiken. Harold Gracey, Vorsitzender des Oranier Ordens in Portadown, erschien häufiger öffentlich in Wright's Kompanie.
In einer Stadt, in der sich bis zum heutigen Tag Loyalisten weigern, die gleiche Toilette zu benutzen wie Nationalisten wird es schwer werden, Toleranz und gegenseitige Achtung durchzusetzen.

Entmilitarisierung

In South Armagh, im Süden Nordirlands, mit überwiegend republikanischem Bevölkerungsanteil, ist von einer Entmilitarisierung nichts zu spüren. Obwohl die britische Regierung mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens sich zu einer Entmilitarisierung verpflichtet hat, ist dort eine starke Militärpräsens zu beobachten. Statt Militäranlagen abzubauen, wurden viele ausgebaut. Täglich patrouillieren britische Soldaten mit schussbereiten Maschinengewehren auf der Straße. Helikopterflüge zur Überwachung werden dort Tag und Nacht durchgeführt. Überall stehen Überwachungstürme und zerstören das schöne Bild der Landschaft. Diese Türme sind mit modernsten Geräten ausgestattet, Kameras mit denen die Gegend ausgespäht wird, sogar Infrarotkameras die eine Überwachung bei Nacht sichern, dazu kommen jede Menge Richtmikrophone mit denen Unterhaltungen aufgezeichnet werden.
In Crossmaglan wurde lediglich ein Überwachungsturm auf dem Marktplatz im Ort abgerissen, einige Meter dahinter befindet sich eine RUC -Station, die volle aufgerüstet die Überwachung trotzdem gewährleistet. Im Enddefekt hat sich trotz Friedensprozess und dem IRA Waffenstillstand für die Menschen in dieser Region, an dem Ausmaß der Überwachung nichts geändert. Im Gegenteil, seit dem IRA Waffenstillstand hat sich die Präsens der Soldaten auf der Strasse erhöht. Bis zum heutigen Tag haben die Anwohner immer noch nicht ihr enteignetes Land zurück erhalten. Die Menschen dort sind es leid, dass sich für sie immer noch nichts geändert hat und organisieren Demonstrationen und Solidaritätsveranstaltungen für eine Demilitarisierung.
Folgt man der Route auf der Landkarte um nach Bressbrook zu gelangen, steht man erst einmal vor einer Militärstation, es ist der Stützpunkt der Helikopter, den man durchfahren muss, um zu diesem Ort zu gelangen. Bressbrook ist ein kleines Dorf, auch hier ist eine verstärkte Kameraüberwachung festzustellen. Es ist an der Zeit, dass die britische Regierung endlich ihrer Verpflichtung nachkommt und die Entmilitarisierung konsequent durchführt. Damit wäre auch der Weg frei für eine touristische Entwicklung in dieser schönen Gegend.

Ich bin Mitglied bei Amnesty international und arbeite dort, seit 1998, zu dem Nordirlandkonflikt. Zur Teilnahme an der Delegation hatte ich mich gemeldet um die Gelegenheit zu nutzen mir vor Ort ein Bild von der Situation zu machen.

Dagmar