Info Nordirland home
Unser Kommentar:

Debatte um die Entwaffnung der UDA wird begleitet von
UDA-Morddrohungen gegen Journalisten und Sinn Féin Mitglieder

Uschi Grandel, 7. Oktober 2007

In die aktuelle Auseinandersetzung um die Entwaffnung der Ulster Defense Association (UDA), der grössten und aggressivsten der pro-britischen Paramilitärs, hat sich letzten Freitag auch der britische Nordirlandminister Shaun Woodward eingemischt . Der britische Nordirlandminister, den es trotz der Bildung der nordirischen Regionalregierung noch gibt, ist übrigens in Nordirland nicht gewählt, sondern vom britischen Premierminister Gordon Brown eingesetzt und besitzt eine Machtfülle, die zeigt, dass der Weg zur Lösung des Konflikts trotz der erzielten Erfolge noch weit ist.

Der Nordirlandminister bestätigte der UDA, dass sie einen "vielversprechenden Dialog" mit der Independent International Commission on Decommissioning, der nach dem Karfreitagsabkommen für die Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen verantwortlichen Kommission, begonnen habe.

Transformation ohne Entwaffnung?

Woodward mischt sich dabei in einen Streit zwischen der UDA und der Ministerin der Regionalregierung für soziale Entwicklung, Margaret Ritchie, ein und stellt sich demonstrativ auf die Seite der UDA. Frau Ritchie hatte der UDA ein Ultimatum bis zum 9. Oktober gestellt. Sollte die UDA bis dahin mit ihrer längst überfälligen Entwaffnung nicht begonnen haben, würde sie die umstrittenen Mittel für das 3-jährige "Conflict Transformation Project" stoppen und anderweitig vergeben. Es handelt sich hier um 1,2 Millionen GBP, also etwa 1,8 Millionen Euro, die die britische Regierung der UDA noch schnell vor der Bildung der Regionalregierung zugesichert hatte. Das Geld soll der UDA ermöglichen, sich aus einer kriminellen, in Drogenhandel und Schutzgelderpressung verstrickten, anti-katholischen und anti-irischen Mordorganisation in eine Organisation zu wandeln, die ihre eigenen Viertel nicht unterdrückt und ausblutet, sondern sozial verantwortlich betreut. Irgendwie soll dabei auch das religiös-rassistische Gedankengut, das den ideologischen Hintergrund der UDA bildet, verschwinden. Skepsis scheint hier durchaus angebracht.

Dass sich die britische Regierung so für die UDA ins Zeug legt, ist allerdings nicht weiter verwunderlich. Die UDA ist nach allem, was man heute weiss, mehr als alle anderen pro-britischen Todesschwadronen, eine direkte Hilfstruppe der britischen Regierung. Viele (alle?) der führenden UDAler waren (sind?) Agenten in Diensten der britischen Armee oder des britischen Geheimdienstes. Sie haben die Drecksarbeit erledigt: prominente Morde, wie den am Rechtsanwalt Pat Finucane, aber auch wahllose Morde an Katholiken auf dem Heimweg in ein irisches Viertel oder an Protestanten, die gemeinsam mit Katholiken in der Nähe irischer Viertel unterwegs waren. Das sollte die Angst schüren und die Bewohner der pro-britischen Viertel von den irischen Vierteln fernhalten. In den letzten Jahren forderten interne Machtkämpfe zusätzliche Opfer. Aus dem Bereich Lower Shankill, eine der Machtbasen der UDA wurden vor ein paar Jahren mehrere hundert Familien der konkurrierenden Ulster Volunteer Force (UVF) aus ihren Häusern vertrieben.

UDA-Gewalt ist nicht Vergangenheit

Die Gewalt der UDA ist dabei keineswegs Vergangenheit. Der UDA interne Machtkampf führte in den beiden vergangenen Monaten zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen auch Polizisten verletzt wurden. Die UDA bedroht ausserdem nach wie vor das politische Friedensprojekt. Morddrohungen gegen des Herausgeber der Andersonstown News, Robert Livingstone, sowie gegen führende Sinn Féin Politiker sind der vorläufig empörende Höhepunkt einer wochenlangen Kampagne, in der auch Sinn Féin Büros in Fermanagh und Derry attackiert wurden.

Die Union der Journalisten in Großbritannien und Irland (NUJ) protestierte Ende September in scharfer Form gegen die Todesdrohungen (s. Kasten).


>>>> NUJ verurteilt Todesdrohungen gegen Herausgeber einer Belfaster Zeitung <<<<

Die NUJ hat die Todesdrohungen einer paramilitärischen Organisation gegen einen führenden Journalisten in Nordirland als "ungeheuerlich" verurteilt.

Die Drohung, der Gewehrkugeln beigelegt waren, trägt den Namen, die Adresse und das KFZ-Kennzeichen von Robin Livingstone, dem Herausgeber der Andersonstown News. Sie wurde an (den Belfaster Fernsehsender) UTV geschickt. Ähnliche Drohungen gingen an eine Reihe von Mitgliedern der (irisch-republikanischen Partei) Sinn Féin .

Die Morddrohungen, die von den Red Hand Defenders (ein Pseudonym für die UDA) kamen, sind der Höhepunkt der derzeitigen Kampagne, die sich auch gegen weitere Medien richtet.

Der Generalsekretär der NUJ, Jeremy Dear, sagte: "Wir verurteilen in aller Schärfe solche Drohungen. Es ist wichtig, dass die (nordirische Polizei) PSNI diejenigen beschutzt, die solche Drohungen erhalten haben und dass Politiker aller Parteien sich klar zur Verteidigung der Pressefreiheit äussern und das Recht von Journalisten verteidigen, ihre Arbeit ohne solche Bedrohungen durchzuführen.

Es reicht nicht, wenn Presseagenturen diese Drohungen verurteilen, sie müssen zeigen, dass sie sich laut und deutlich gegen diese unerhörten Versuche zur Wehr setzen, nordirische Medien gewaltsam zum Schweigen zu bringen und zu zensieren."

28/09/07, Deutsche Übersetzung: Uschi Grandel, 7.10.2007, Erläuterungen in Klammern

Michelle Gildernew, Abgeordnete von Sinn Féin für Fermanagh und derzeit Agrarministerin der nordirischen Regionalregierung, hat das Polizeiombudsman-Büro eingeschaltet, nachdem die Polizei sich weigerte, ihr nähere Informationen über die gegen sie gerichteten Morddrohungen zu geben.

Nicht ein Wort verschwendete der Nordirlandminister Woodward während seiner Presseerklärung zugunsten der UDA auf diese bedrohlichen Vorfälle. Auch dies ist leider nur die Fortsetzung bekannter britischer Politik. Schon in der Vergangenheit haben britische Nordirlandminister der UDA durch Pressekonferenzen angekündigter Friedfertigkeit aus der Patsche geholfen. Nie folgten diesen Ankündigungen Taten.

UDA und Friedensprozess

Der Friedensprozess bringt indess auch die UDA ins Wanken. Unsere Delegation zum West Belfast Festival besuchte im August dieses Jahres ein Projekt in der UDA-Hochburg "Lower Shankill", das vor dem Durchbruch im Friedensprozess nicht denkbar gewesen wäre. Ein engagierter protestantischer Prediger sammelt junge ehemalige UDA'ler, um mit ihnen zivile Projekte zu starten, die dem Wiederaufbau des Bezirks Shankill gewidmet sind. Auch erste vorsichtige Kontakte zum ehemaligen Hassbild "irische Republikaner" gehören dazu. Angeblich entlässt der UDA-Kommandeur im Lower Shankill diejenigen junge Leute, die mutig genug sind, auf einem Ausstieg aus der UDA zu bestehen. Früher gab es nur eine finale Art dieses Ausstiegs. Wir treffen uns zum Gespräch mit der Gruppe in Räumen, die bis vor kurzem die UDA für sich reklamiert hatte. Auch dies hätten wir uns bis vor kurzem trotz unserer langjährigen guten Kontakte in den Shankill Bezirk nicht getraut. Ein Reisebericht hierzu ist in Arbeit.

Für die Diskussion des Zustandes der UDA ist vielleicht eine Einschätzung interessant, die wir aus dem Gespräch mitgenommen haben. Es scheint die Basis der UDA langsam wegzubröckeln. Ist es vielleicht ein Ziel der britischen Regierung, mit dem "Conflict Transformation Project" eine Art Versorgungspaket für die UDA-Führung zu schaffen? Ist die britische Regierung erpressbar, weil sie immer noch versucht, ihre aktive Führungsrolle an vielen Aktionen der UDA zu verheimlichen?

Ein noch schlimmerer Gedanke wäre, dass die britische Regierung versucht, Strukturen der UDA in die neue Zeit hinüberzuretten, anstatt sie zu zerschlagen. Können wir sicher sein, dass hinter den jüngsten Morddrohungen nicht UDA-Führer stecken, die eigentlich britische Agenten sind?

Wahrheit über diese Verstrickung fordern die Familien der vielen Opfer seit Jahren. Sie ist hier nicht nur Aufarbeitung der Vergangenheit, sie ist die Voraussetzung für eine bessere und stabile, friedliche Zukunft.


home Info Nordirland