Bericht vom Sonderparteitag Sinn Féins zum Thema "Polizei und Justiz" in Dublin
Uschi Grandel, Info Nordirland, 29. Januar 2007
Überwältigende Mehrheit für Einmischung in die Polizei
Am Sonntag, den 28.1.2007 fand in Dublin der Sonderparteitag Sinn Féins zur
Änderung ihrer Politik zum Thema "Polizei und Justiz" statt. Ich habe an dem
Parteitag als Gast teilgenommen. Etwa 900 Delegierte und insgesamt über 2000
Personen verfolgten die ganztägige intensive Debatte. Die Delegierten
stimmten dem Antrag ihrer Parteiführung mit einer überwältigenden mehr als
90%igen Mehrheit zu. Die irischen Medien titelten in ihrer Berichterstattung
danach: "Sinn Féin beendigt 86-jährige Gegnerschaft zur Polizei" - eine
Gegnerschaft zu einer Polizei, die seit der Gründung Nordirlands durch
Grossbritannien immer der bewaffnete, anti-demokratische Arm zur
Unterdrückung der irischen Bevölkerung war. Sie tat dies in Zusammenarbeit
mit pro-britischen Todesschwadronen, in den 1920er und 1930ern mit Pogromen
gegen irische Viertel, bis in die Gegenwart, indem sie pro-britische
Mördergangs lenkte, bezahlte und beschützte.
Die nordirische Polizei-Ombudsfrau Nuala O'Loan hat mit ihrem Bericht über
die brutalen Morde einer kleinen Nordbelfaster Gruppe der UVF und die
Verstrickung der nordirischen Polizei in diese Morde einen kleinen Einblick
gegeben, wieviel Terror diese Zusammenarbeit für die Menschen in Nordirland
brachte.
Viele der Delegierten ergänzten in ihrer Rede zum Antrag den
Untersuchungsbericht der Ombudsfrau mit eigenen schlimmen Erfahrungen zur
Polizei. Kein einziger der Redner war der Ansicht, die Polizei habe sich
grundlegend geändert. Das war auch nicht die Begründung für die Änderung der
Haltung zur Polizei. Auch nicht die Tatsache, dass damit ein gewaltiges
Blockadeargument der DUP gegen die Bildung einer gemeinsamen Regierung aus
dem Weg geräumt ist. Der Hauptgrund für die meisten Redner war die Tatsache,
dass die Verhandlungen ihrer Parteiführung einiges an Kontrollmöglichkeiten
geschaffen hat und Sinn Féin an Stärke gewaltig gewonnen hat, so dass
Demokratisierung und Kontrolle der Polizei nun in den Bereich des Möglichen
gerückt ist. Die meisten Delegierten waren der Meinung, dass ihr Ziel, eine
gesamtirische, demokratische, sozialistische Republik eine so grundlegende
Änderung und Demokratisierung aller Staatsbereiche in ganz Irland erfordere,
dass ein wichtiges Instrument, wie die Polizei nicht ausgeklammert werden
darf. Und dass man am besten schnell damit anfängt.
Allerdings bestand Einigkeit, dass dies eine gewaltige Aufgabe ist, die die
aktive Mitarbeit möglichst vieler Menschen erfordert. Dass eine solche
aktive Mitarbeit nicht nur eine Worthülse ist, zeigten die über hundert
internen und öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, die Sinn Féin im
Vorfeld des Parteitages unter Beteiligung von Aktivisten, Parteimitgliedern,
Unterstützern und der Öffentlichkeit durchführte. Die Teilnehmerzahlen der
öffentlichen Veranstaltungen waren beeindruckend: unter anderen nahmen in
Toome, County Derry, ca. 500 Personen; in Galbally, East-Tyrone, über 1000
Personen; in Newry, Armagh, 1300 Personen; in West-Belfast, 700 Personen
teil. In Galbally erhielt die Sinn Fein
Führung nach einer langen und offenen Diskussion am Ende stehend Applaus.
Martina Anderson aus Derry, verantwortlich in Sinn Féin für den Dialog mit
den pro-britischen Unionisten, fast in ihrem Redebeitrag auf dem Ard Fheis
die Stimmung gut zusammen:
"Heute ist ein Wendepunkt in der Geschichte unseres Kampfes. Wahrhaft
historisch war der Diskussionsprozess, durch den wir gegangen sind. Die
Menschen haben die politische Führung übernommen. Frühere Entscheidungen
wurden von der Armee (d.h. der IRA) getroffen -- der Waffenstillstand, die
Vernichtung der Waffen. Aber die heutige Entscheidung ist der Höhepunkt
eines Prozesses an breiter, noch nie in dieser Intensität durchgeführter
Beratung mit Aktivisten, Parteimitgliedern, den Familien unserer toten
Patrioten und mit der Community, die über die Jahre die Hauptlast des
Kampfes schultern musste. Unser Kampf wird nicht länger von einer kleinen
mutigen Schar von Leuten für Irland geführt. Heute fällen wir unsere
Entscheidungen in enger Beratung mit den Menschen.
Die Briten haben Irland in einer Art und Weise besetzt, die James Connolly
so gut beschrieben hat: sie spielen uns gegeneinander aus und lassen uns uns
gegenseitig bekämpfen, während sie uns alle ausrauben und ermorden. Während
der Nachbar den Nachbarn fürchtet, gegen den 'anderen' kämpft, bleiben wir
gespalten und nicht in der Lage, unser Schicksal selbst zu bestimmen. In
diesem Zustand können wir nicht hoffen, ein Irland der Gleichberechtigung,
in das alle einbezogen werden, eine demokratische, sozialistische Republik
zu schaffen. Unsere Resolution dreht sich darum, Menschen dazu zu befähigen.
Es ist eine Voraussetzung, um unseren Kampf weiterzubringen, es ist ein
Programm dafür.
Natürlich erreichen wir noch nichts dadurch, dass wir nur diese Resolution
verabschieden. Sie ist eine Erklärung unserer Intention, in unserem Land
Gerechtigkeit aufzubauen. Die Polizei wird der Community nur so weit
verantwortlich sein, wie wir, die Menschen, sie zur Verantwortung ziehen.
Die Resolution ist ein Programm für all diejenigen, die Gerechtigkeit und
Gleichheit für unsere Community wollen. Wir müssen die Polizei in die
Pflicht nehmen, Polizeiarbeit transparent machen und die Arroganz der Macht
zur Rechenschaft ziehen.
Comrades, wir haben es mit der Polizei schon früher aufgenommen und wir
werden sie nicht in Ruhe lassen -- mit dem gleichen furchtlosen
Selbstvertrauen. Zusammenhalt heisst nicht, die Stimmen zu zählen, die den
Antrag auf dem Papier unterstützen. Zusammenhalt zeigt sich darin, wie wir
gemeinsam vorgehen, um die Resolution umzusetzen. Wie wir zusammenarbeiten,
um den Menschen Macht zu geben und die Arroganz der Macht zu beseitigen,
damit wir endlich die Demütigung einer nicht uns rechenschaftspflichtigen
Polizei beenden, damit wir die Praxis des Sectarianism (des anti-irischen
und anti-katholischen Rassismus) beenden, auf den sich britische Herrschaft
in Irland gestützt hat. Auf Basis dieses Programms werden wir vorangehen,
morgen, als ein Volk, das aufgestanden ist, das aus dem Mut, der Zähigkeit
und der Bestimmtheit einiger Vorbilder Kraft schöpft.
Wenn Bloody Sunday uns etwas gelehrt hat, dann ist es, dass wir die
Mächtigen zur Rechenschaft ziehen müssen. Und während ich den Ard Fheis
verlasse, um in Derry auf der Bloody Sunday Commemoration zu sprechen, bitte
ich Euch, nicht nur den Antrag mit überwältigender Mehrheit zu unterstützen,
sondern gemäss seiner Intention zu handeln, um unseren Feinden einen
weiteren Pfeiler des korrupten Staates aus den Händen zu reissen.
Denn, comrades, wenn Krieg die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln
ist, dann ist dies die Umkehrung. Ich bitte Euch, dem Antrag zuzustimmen.
Wenn Ihr dazu nicht in der Lage seid, bitte ich um Euere Enthaltung."
Beeindruckend war die Toleranz und der Respekt der Delegierten gegenüber der
Minderheitsmeinung. Die Jugendorganisation Ogra Sinn Fein hat gegen die
Unterstützung der Polizei argumentiert und gestimmt, jedoch erklärt, das
Votum zu respektieren. Ihre Sprecher wurden mit Beifall bedacht. Genauso wie
ein profilierter Gegner des Antrags aus Derry, der -- obwohl kein
Delegierter -- Rederecht erhielt, um seine Position den Delegierten zu
erklären. Der Parteitag hat nicht nur mit überwältigender Mehrheit ja zur
Einmischung in die nordirische Polizei gesagt, er hat auch die Kritiker in
fairer Weise mitgenommen und damit Einigkeit und Zuversicht im ganzen
republikanischen Lager gestärkt.
Berichterstattung zum Parteitag findet sich bei Sinn Féin unter
Sinn Féin News .
Wir werden im Laufe der nächsten Tage einige der Reden und Reaktionen in deutscher Übersetzung
auf unserer Webseite zur Verfügung stellen.