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Der Journalist Maik Baumgärtner spricht mit Uschi Grandel von Info Nordirland über den Friedensprozess:

Nordirland: Demokratisierung aller Lebensbereiche

17.02.08

NordirlandSeitdem die nordirische Regionalregierung am 8. Mai 2007 offiziell ihre Arbeit aufgenommen hat, ist Nordirland der Umsetzung des Friedensabkommens, der Demokratisierung aller Lebensbereiche ein großes Stück näher gekommen. Die deutsche Irlandsolidarität sieht darin ein „Hoffnungssignal” für alle Menschen, die weltweit „gegen Unterdrückung, für Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben kämpfen”.
Da sich die irisch-republikanische Bewegung seit über 100 Jahren einer internationalistischen Praxis bedient, sprach ich aufgrund der aktuellen Repressionswelle im Baskenland mit Dr. Uschi Grandel über Konfliktlösungen in Irland, Repression und die jahrelange Zusammenarbeit von baskischen und irischen AktivistInnen.
Uschi Grandel ist seit Mitte der 90er Jahre aktiv in der Irlandsolidarität. Seit 1999 engagiert sie sich außerdem in der Kampagne „Save the Good Friday Agreement Coalition”, welche den Friedensprozess in Irland durch Öffentlichkeitsarbeit unterstützt und begleitet.

Die neue Regionalregierung in Nordirland arbeitet nun schon seit fast einem Jahr. Ist der Konflikt nun beendet ?

Der Konflikt in Nordirland ist noch lange nicht beendet. Beendet ist der Krieg zwischen der britischen Armee und der IRA - wobei die britische Regierung immer noch nicht offiziell zugibt, dass sie in Nordirland Krieg geführt hat und einen schmutzigen Krieg oben drein. Es gibt einen Friedensprozess, der in den letzten Jahren riesige Schritte nach vorn gemacht hat. Die irisch-republikanische Bewegung hat diesen Prozess initiiert und getrieben. Je erfolgreicher sie dabei war, je größer wurde die Mischung aus Unterdrückung, Verleumdungen und Anfeindungen. Dass die Regionalregierung ihre Arbeit letztes Jahr aufnehmen konnte, ist ein großer Erfolg im Konfliktlösungsprozess.

Der Friedensprozess ist nach Jahrzehnten der bewaffneten Auseinandersetzungen im vollen Gang. Wurde der Gewalt wirklich abgeschworen ?

Naja, manche würden sagen, jedes Zentimeterlein Erfolg im Friedensprozess musste über die letzten 14 Jahre (seit dem Waffenstillstand der IRA im Jahr 1994) mühsamst erkämpft werden. Richtig ist, dass die IRA durch die einseitige Beendigung ihrer bewaffneten Kampagne im Herbst 2005 und die Vernichtung ihrer Waffen dem Friedensprozess einen großen Aufschwung ermöglicht hat. Die Einigung auf die Wiedereinsetzung der nordirischen regionalen Allparteienregierung im letzten Jahr ist die direkte Folge.

Die spannende Frage ist immer, wer Gewalt ausgeübt hat und wer dieser Gewalt nun abgeschworen hat. Die IRA hat ihre Waffen vernichtet und ihre Kampagne beendet. Die britische Armee hat ihre „Operation Banner” - so nannte sie den Krieg gegen die IRA - offiziell im letzten August beendet. Es sind aber immer noch etwa 5000 Soldaten stationiert, die Nordirland als Übungszone für ihre Kriege im Irak und in Afghanistan nutzen.
Die Wandlung der Polizei von einer paramilitärischen Truppe in eine zivile Polizei ist noch längst nicht vollzogen. Die pro-britischen Terrorgruppen sind noch bis an die Zähne bewaffnet. Das ganze Ausmaß des britischen Staatsterrorismus in Irland liegt noch weitgehend im Dunkeln, nur kleine Puzzlesteine konnten bisher an die Öffentlichkeit gebracht werden. Man könnte sagen, Gewaltpotenzial ist vorhanden.

Was hat sich konkret für die Bevölkerung im Norden verbessert ?

Der Friedensprozess hat als Aufgabe die Demokratisierung aller Lebensbereiche, das passiert gerade. Ganz simple Dinge wie das Verschwinden des offenen militärischen Überwachungsapparats. Kneipen in irischen Vierteln kommen ohne Einlass-Schleußen aus, die jahrzehntelang aus Furcht vor Überfällen von pro-britischen Todesschwadronen die Eingänge sicherten. In South Armagh, einer der Hochburgen der irisch-republikanischen Bewegung und die bis vor kurzem am höchsten militarisierte Gegend in ganz Europa, wird man nun nicht mehr morgens von tief fliegenden Hubschraubern geweckt. Ein anti-irischer Beamten- und Polizeiapparat verwandelt sich nicht so einfach von heute auf morgen, aber die Herrschaften sind mit einer zunehmend selbstbewussten Bevölkerung konfrontiert und müssen sich dann verantworten. Last not least: seit 2001 sind (fast) alle politischen Gefangenen entlassen und mittlerweile gibt es auch die ersten Annullierungen der Urteile, mit denen irische Republikaner im Fließbandverfahren ohne Beweise in den 70er und 80er Jahren zu horrenden Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Haben die Friedensgespräche die irisch-republikanische Bewegung gespalten oder wird der Frieden allgemein begrüßt ?

Eine der großen Leistungen der irisch-republikanischen Bewegung war es, weitgehend geschlossen zu bleiben. Es gab in einzelnen Phasen einzelne Austritte oder Abspaltungen, die aber alle keine politische Relevanz haben. Die Bevölkerung der irischen Viertel unterstützt mit überwältigender Mehrheit den Friedensprozess. Die Unterstützung ist dabei nicht einfach passiv, vielfältige basisdemokratische Initiativen unterstützen und treiben den Friedensprozess mit eigenem Engagement.
Ein Beispiel für die demokratische Streitkultur und das hohe politische Bewusstsein in den irischen Vierteln ist die Auseinandersetzung um die Akzeptanz der Polizei im Januar 2007.

Worum ging es bei diesen Auseinandersetzungen ?

Sinn Fein und die irisch-republikanische Bevölkerung haben die pro-britischen Polizeieinheiten bis Anfang 2007 immer abgelehnt. Seit der Gründung Nordirlands durch Großbritannien im Jahr 1920 war die Polizei immer der bewaffnete, anti-demokratische Arm zur Unterdrückung der irischen Bevölkerung. Von ihrer Beteiligung an Pogromen gegen irische Viertel in den 1920er und 1930ern bis in die Gegenwart, in der sie pro-britische Mördergangs lenkte, bezahlte und beschützte.

Auf einem Sonderparteitag im Januar 2007 wurde das ablehnende Verhalten gegenüber der Polizei aufgegeben, um den Friedensprozess zu stützen und nach vorne zu bringen. Kontrolle und Demokratisierung der Polizei stehen nun als Aufgabe an. Diese Entscheidung wurde allerdings nicht von der Parteiführung diktiert. Sinn Fein organisierte öffentliche Veranstaltungen in allen Teilen Nordirlands, um diesen Entschluss an der Basis zu diskutieren. Hunderte, in einigen Gegenden weit über 1000 Menschen beteiligten sich an den einzelnen Diskussionsveranstaltungen.

Welche Ziele verfolgt Sinn Fein ? Steht für die Partei und ihre Basis in Form der irisch-republikanischen Bewegung nach wie vor die Errichtung einer sozialistischen Republik als Ziel ihres Kampfes ? Oder wurden die politischen Ziele mit der Zeit aufgeweicht ?

Da hat sich nichts geändert. Aus meiner Sicht ist eher das Gegenteil der Fall. Die irisch-republikanische Bewegung ist über die letzten Jahre stärker geworden. nicht nur die Partei, sondern auch die basis-demokratische Bewegung, die Vielzahl an Aktivisten, die mit ihren Projekten aktiv die Parteiarbeit von Sinn Fein beeinflussen. Die politischen Ziele sind nicht verwässert, sondern eher konkretisiert. An vielen Stellen ist zu bemerken, dass die irisch-republikanische Bewegung angetreten ist, ganz Irland umzukrempeln.
Sinn Fein Mitglieder sind dabei in vielfältige Aktivitäten involviert. Sie kämpft aktuell zum Beispiel gegen eine Ratifizierung des Lissabon-Vertrags, zu dem es in Irland eine Volksabstimmung geben muss.

Seit langem findet ein Austausch zwischen AktivistInnen aus Nordirland/Irland und dem Baskenland statt. In welcher Form arbeiten die verschiedenen politischen Gruppen zusammen und wo gibt es Gemeinsamkeiten ?

Eine Gemeinsamkeit ist, dass beide Konflikte innerhalb Europas stattfinden, die Unterdrückerstaaten respektable, angeblich demokratische europäische Staaten sind und der Rest Europas den Konflikt als innere Angelegenheit dieser Staaten betrachtet. Menschenrechtsverletzungen und Demokratieverstöße werden toleriert, weil Spanien und Großbritannien einen massiven Propagandafeldzug führten (in Spanien führen), um das Ausmaß an Unterdrückung zu verschleiern.

Die Zusammenarbeit der irisch-republikanischen Bewegung mit der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung ist vielfältig. Zum einen findet sie auf der politischen Ebene statt. Sinn Fein und Batasuna tauschen ihre Erfahrungen aus, um voneinander zu lernen. Pernando Barrena, der Anfang Februar verhaftete Sprecher von Batasuna, war häufiger Gast auf den Sinn Fein Parteitagen.

Dann gibt es Solidaritätsgruppen, zum Beispiel die Irisch-Baskische-Solidarität, und Basken, die den irischen Freiheitskampf unterstützen. Nicht zuletzt gibt es viele Einzelkontakte. Viele Basken kommen im August zum West Belfast Festival.

Die Repression spanischer Behörden gegen politisch und kulturell aktive BaskInnen erreicht derzeit einen nicht geahnten Höhepunkt. Kann die spanische Regierung hier von Großbritannien lernen ?

Die spanische Regierung kann nicht nur, sie sollte auch von Großbritannien lernen, dass Unterdrückung Konflikte nicht löst, sondern verschärft. Die derzeitigen Unterdrückungsmaßnahmen der spanischen Regierung kommen einem schon sehr bekannt vor, wenn man den britisch-irischen Konflikt kennt. Zuerst das Ausdehnen des Terrorismusbegriffs auf jeden, der sich der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zugehörig fühlt und auf alle Bereiche, Kultur, Politik, soziale Initiativen, Zeitungen. In Nordirland bezeichnete einmal ein britischer Nordirlandminister den ganzen irischen Teil West Belfasts als „terroristischen Stadtteil”. Auf der Beerdigung der jungen Sinn Fein Aktivistin Sheena Campbell, die 1992 ermordet wurde, sagte ihr Parteifreund Jim Allister an die Adresse der britischen Regierung: „Ihr könnt uns zensieren, ermorden, foltern und Euch weigern mit uns zu reden. Aber wir sind so viele, dass Ihr eines Tages mit uns reden müsst”. Das sollte die spanische Regierung zweimal lesen.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Kontakt zu Dr. Uschi Grandel:
Internet: archiv.info-nordirland.de
E-Mail: info@info-nordirland.de

Kontakt zu Maik Baumgärtner, freier Journalist:
Internet: www.maikbaumgaertner.de


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