Im folgenden finden Sie unseren Kommentar zu einem Interview des Neuen Deutschland vom 10. Mai 2006, dessen Aussagen
zum Friedensprozess in Nordirland aus unserer Sicht nicht unwidersprochen bleiben können.
Interviewt wurde der ehemalige Chef der pro-britischen Ulster Unionist Party, David Trimble, der die unionistische
Politik der letzten Jahre seit Unterzeichnung des Friedens- und Konfliktlösungsabkommens im Jahr 1998
massgeblich bestimmte.
Das Interview ist auf der Webseite des Neuen Deutschland zu finden:
"Sinn Fein muss gute Absichten beweisen" - Nordirland: David Trimble fordert Signale der Konfliktparteien"
(Neues Deutschland, 10. Mai 2006)
Wir haben unsere Kritik dem Neuen Deutschland auch als Leserbrief zur Verfügung gestellt.
Unser Kommentar zum Interview:
Diskriminierung und Diffamierung von Sinn Féin
durch pro-britische, unionistische Parteien -
eine Altlast unionistischer Dominanz und Alleinherrschaft
Uschi Grandel, Save the Good Friday Agreement Coalition, 13. Mai 2006
Am 15. Mai startet in Nordirland eine wichtige Phase im Friedensprozess, der
Versuch, die seit Herbst 2002 von der britischen Regierung suspendierte
nordirische Regionalregierung wieder auf die Beine zu bringen. Der Beitrag
des Neuen Deutschland hierzu ist dieses Interview? Das darf doch nicht wahr
sein!
Schon die Kurzbeschreibung des politischen Werdegangs von David Trimble gibt
ein falsches Bild, weil sie im Jahr 2001 aufhört und den
dramatischen Niedergang seiner Partei,
der pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP), in den letzten Jahren völlig
ignoriert. Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung reduzierte sich die
Zahl der Sitze der UUP im britischen Unterhaus von 6 Sitzen in 2001 auf
einen kläglich letzten Sitz in 2005. Auch Trimble verlor bei den Wahlen 2005
seinen Sitz und damit auch seinen Posten als Chef der UUP. Seither spielt
David Trimble in der politischen Auseinandersetzung in Nordirland keine
Rolle mehr. Es wäre durchaus eine naheliegende Interview-Frage gewesen,
ob seine Blockadehaltung im Friedensprozess, die seine liberaleren Anhänger
zur Verzweiflung und drei prominente UUP-Hardliner zum Wechsel zum
Hardline-Original DUP brachte, aus heutiger Sicht ein Fehler war.
Das Argument, mit dem die Unionisten in den letzten acht Jahren die Umsetzung des 1998
geschlossenen Karfreitagsabkommens hinauszögerten, war immer: "wie können wir
mit Sinn Féin (der inzwischen stärksten Partei des irischen Lagers) eine
gemeinsame Regierung bilden, solange die IRA bewaffnet ist."
Dieses Argument für jeden Gegner des Friedensprozesses Gold wert. Denn es galt als
ausgemacht, dass die IRA ihre Waffen nie als Vorbedingung für eine politische Lösung,
sondern höchstens als Beitrag zu einer definierten Gesamtlösung vernichten würde.
Man konnte lange davon ausgehen, dass Waffenvernichtung durch die IRA als Vorleistung in den irischen
Vierteln nicht akzeptiert werden würde. Loyalistische Gewalt an den sogenannten Peacelines ist
immer noch existent. Polizei und britisches Militär haben solche Gewaltakte gegen irische Viertel in der
Vergangenheit nie unterbunden.
Unionistische Propaganda hat schon immer die
irisch-republikanische Partei Sinn Féin und die IRA gleichgesetzt. Das macht
es leichter, Sinn Féin nicht an ihrem demokratischen Mandat zu messen,
sondern an dubiosen Geheimdienstgerüchten, die in den vergangenen Jahren
immer rechtzeitig vor einer Einigung der politischen Gegner auftauchten und
diese dann auch zu Fall brachte.
Sinn Féin hat dem allen immer wieder geduldig entgegengesetzt, dass die
Partei ihr demokratisches Mandat von ihren Wählern erhalte und sie deshalb
nicht akzeptiere, dass es aus irgendwelchen scheinheiligen Gründen ignoriert
werde. Sie werde auch keine besondere Überprüfung ihrer Demokratiefähigkeit
durch den politischen Gegner akzeptieren. Sie hat immer wieder darauf
hingewiesen, dass Vorbedingungen an eine Seite den Konflikt nicht löse,
sondern vielmehr verlängere und dass gemeinsame Zusammenarbeit der
Konfliktparteien allen Seiten den Boden für die Akzeptanz bewaffneter
Auseinandersetzung entzieht. Sie hat gleichzeitig bei der
irisch-republikanischen Basis und der IRA dafür geworben, ihr Ziel eines
vereinigten Irlands mit ausschliesslich friedlichen und demokratischen
Mitteln zu verfolgen.
Und dann hat die IRA im Herbst letzten Jahres einseitig, ohne Gegenleistung,
unter internationaler Kontrolle, unter Beisein eines katholischen und eines
protestantischen Geistlichen ihr gesamtes Waffenarsenal vernichtet. Die
unionistischen Hardliner waren sprachlos. Ihr Hauptargument war von heute
auf morgen zerschlagen. Aber man munkelt, ein paar Waffen seien noch da ...
ist seither der klägliche Versuch, dieses Thema als Blocker wiederzubeleben.
Selbst Peter Hain, der britische Nordirlandminister hat vor einigen Wochen
genervt den Unionisten klargemacht, dass die Waffen der IRA vernichtet, weg,
futsch, und damit kein Thema mehr sind.
Interessant wäre es gewesen, den Mann, der von 1998 - 2003 Chef der damals stärksten
pro-britischen Partei UUP war, zu fragen, ob seine Verweigerungsstrategie, die die
Lebensdauer der Regionalregierung auf gerade mal ein Jahr beschränkt hat, nicht den Erfolg
der Anti-Friedensprozess-Partei DUP erst möglich gemacht habe. Hinter der
ständigen Forderung, Sinn Fein müsse "Beweise guter Absicht zeigen", steckt recht unverhohlen
das alte undemokratische Denken des verkrusteten unionistischen
Einparteienstaates, der die irische Hälfte seiner Einwohner diskriminierte, ihnen anständige
Wohnungen und Arbeit vorenthielt, ihre Viertel mit Pogromen überzog, ihre Bürgerrechtsbewegung
mit brutaler Gewalt niederschlug und sie politisch durch undemokratische Wahlgesetze und
Wahlkreismanipulationen ausgrenzte.
Die Frage "ob die Entwaffnung wirklich geschehen
ist" gibt ihm auf jeden Fall eine Steilvorlage dafür, die Auseinandersetzung mit der eigenen
Verantwortung für die Konfliktlösung beiseite zu lassen und stattdessen über
"glaubhafte Annahmen, dass die IRA immer noch vereinzelt Waffen besitzt" zu
schwadronieren. Bitte, wer über die Jahre verfolgt hat, wie die Unionisten
aus jeder republikanischen Mücke einen propagandistischen Elefanten
gebastelt haben, der versteht aus diesen vagen Andeutungen, dass David
Trimble weiss, dass die Waffen der IRA kein Thema mehr sind.
Jetzt kommen bei David Trimble langsam unionistische Hardliner-Positionen
durch. Hat nicht "Sinn Féin ein Glaubwürdigkeitsproblem ... ihr Versäumnis,
eine transparente Entwaffnung vorzuzeigen ...". Hoppla? Offensichtlich fühlt
David Trimble sich wohl bei der bereits gelösten Waffenfrage. Und warum
plötzlich Sinn Féin? Sinn Féin hat letztes
Jahr den 100. Geburtstag gefeiert und hatte seit ihrer Gründung noch nie
Waffen. Warum soll sie "eine transparente Entwaffnung vorzeigen"? Im
Friedensabkommen steht, dass die bewaffneten Gruppen in Zusammenarbeit mit
einer extra dafür eingesetzten internationalen Kommission, der "Independent
International Commission on Decommissioning (IICD)" unter Leitung des
kanadischen Generals De Chastelain, den Entwaffnungsprozess einleiten und
durchführen. Exakt dies hat die IRA getan. Sie ist sogar weiter gegangen und
hat zwei Beobachter, einen katholischen und einen protestantischen
Geistlichen zugelassen. Demokratisches Verhalten heisst, diese gemeinsam
unterschriebenen Spielregeln zu beachten und demokratische Institutionen zu
akzeptieren. Was sagt die Missachtung dieses Vorgehens über das
Demokratieverständnis eines David Trimble? Dies nicht wenigstens
nachgefragt zu haben, ist eine der vielen verpassten Gelegenheiten des
Interviews, sich dem Konfliktlösungsprozess anzunähern.
Ohne jede kritische Nachfrage bleibt auch das zynische propagandistische
Ausschlachten eines Mordes, der letztes Jahr Schlagzeilen machte. Robert
McCartney war nach einem eskalierten Kneipenstreit ermordet worden. Herr
McCartney war Sinn Fein Wähler, unter seinen Mördern waren IRA-Mitglieder.
Die IRA hat nach diesem Mord die Betroffenen ausgeschlossen und deren Namen
der Familie des Ermordeten mitgeteilt. Sinn Fein hat Mitglieder, die während
der Tat in der Kneipe waren, aufgefordert, eine Aussage zum Tathergang zu
machen. Dieser Mord hatte mit Politik nichts zu tun, was nichts an seiner
Tragik für die Betroffenen ändert.
Die Politik hat diesen Mord erreicht, weil nach einem Mord polizeiliche
Ermittlungen nötig sind, und die Demokratisierung der Polizei noch eines der
grossen, ungelösten Probleme des Friedensprozesses ist. Auch hier die
verpasste Chance, die lapidare Äusserung des Herrn Trimble "Sinn Féin sollte
der Polizei helfen ..." politisch zu hinterfragen. Kann man eine Polizei
unterstützen, die immer noch diejenigen beobachtet, ausspioniert und
behindert, die sie für ihre politischen Gegner hält. Die im Herbst 2002
sogar die Regionalregierung durch eine Polizeirazzia zu Fall brachte?
"Auch (protestantische Loyalisten) verüben ja nach wie vor Anschläge", ist
die nächste Frage. "Auch"? Bitte nicht "auch". Wahrheit ist, dass Anschläge
der letzten Jahre ausschliesslich auf das Konto pro-britischer
(loyalistischer/unionistischer) Hassgruppen gehen. Warum? Weil das Schüren
anti-katholischer, anti-irischer Ressentiments immer noch Mittel
unionistischer Politik ist. Weil unionistische Politiker, anti-katholische
Oranier Orden, staatliche Stellen und loyalistische Killer eine lange
Tradition der Zusammenarbeit haben, um den "Taigs" oder "Fenians", wie sie
die Bewohner der irischen Viertel verächtlich nennen, ihren Platz zu zeigen.
David Trimble hier aus der Verantwortung zu lassen, ist der bitterste Teil
des ganzen Interviews. Unionistische Gewalt bedroht auch noch im Jahre 2006
das Leben der Menschen in den irischen Vierteln, wirft Brandbomben auf ihre
Häuser, wird gedeckt von einer Polizei, die die Schuldigen nicht fasst und
von Politikern, die bis auf ganz wenige Ausnahmen angeblich mit all dem
nichts zu tun haben und die nichts unternehmen, obwohl sie politische
Verantwortung tragen.
Erst am letzten Montag, am 8. Mai 2006, starb der 15-jährige Schüler Michael
McIlveen an den Folgen eines solchen Mordanschlags in der DUP Hochburg
Ballymena: vor einer Pizzabude als "Katholik" enttarnt, von einer Meute
Loyalisten verfolgt, mit Baseballschlägern zusammengeschlagen, mit schweren
Stiefeln auf den Kopf getreten. Drei junge Katholiken wurden auf eine
ähnliche Art und Weise in den letzten vier Jahren von Loyalisten ermordet.
Wir kennen solche rassistischen Mordangriffe auch aus dem rechtsradikalen
Lager in Deutschland. In Nordirland bezeichnet man sie als "sectarian", das
kann man als religiös-rassistisch übersetzen. Ob rassistisch oder sectarian,
beiden zugrunde liegt ein unsägliches Herrenmenschendenken, eine Altlast
undemokratischer Traditionen.
Die Arroganz, mit der David Trimble der irisch-republikanischen Partei Sinn
Féin die Demokratiefähigkeit ganz global abspricht, zeigt eine politische
Haltung, die nicht Demokratie, sondern unionistische Dominanz in den
Vordergrund stellt. Die Schläger auf der Strasse setzen eine solche
unionistische Dominanz auf ihre Art und Weise um.
Schade, viele verpasste Fragen und damit auch die verpasste Chance, Ihren
Lesern den Konfliktlösungsprozess anhand dieses Interviews näherzubringen.