Kommentar zu den Wahlen zum nordirischen Regionalparlament am 7. März 2007:
Eine gemeinsame Regionalregierung als Wählerauftrag
Von Uschi Grandel, 12. März 2007
Am 7. März 2007 hat die Bevölkerung in Nordirland ihre Vertreter für die
gemeinsame Regionalregierung gewählt. Das Kräfteverhältnis der Parteien für
die Regierung durch eine Wahl neu festzulegen, war einer der Eckpunkte des
Abkommens von St. Andrews, das in mühevollen Verhandlungen im Herbst 2006
erreicht wurde. Es basiert auf dem 1998 geschlossenen Karfreitagsabkommen
(Good Friday Agreement, Belfast Agreement) und ist die Grundlage, auf der
die Regionalregierung zum 26. März dieses Jahres wieder etabliert werden
soll.
Die zentralen Verhandlungspartner des St. Andrew Agreement waren die
britische und die irische Regierung, sowie die beiden stärksten Parteien der
irischen, bzw. der pro-britischen Communities in Nordirland. Auf
pro-britischer Seite ist dies die DUP, die Democratic Unionist Party mit
Parteichef Ian Paisley, auf Seite der irischen Bevölkerung ist es die
irisch-republikanische Partei Sinn Féin. Ihr Präsident ist Gerry Adams.
Die anderen Parteien, die irisch-nationalistische SDLP, die pro-britische
UUP, beide zur Zeit des Karfreitagsabkommens jeweils stärkste Parteien,
mittlerweile jedoch bedeutend geschwächt, sowie die kleine Alliance Party,
spielten in den Verhandlungen praktisch keine Rolle.
Die Wahl bestätigte die DUP mit 30,1% und Sinn Féin mit 26,2% der
Erststimmen als stärkste Parteien deutlich vor der UUP mit 14,9% und der
SDLP mit 15,2%. Die Alliance Party erhielt 5,2% der Erststimmen.
|
SF |
SDLP |
UUP |
DUP |
AP |
WC |
PUP |
Others |
Sitze |
28 |
16 |
18 |
36 |
7 |
0 |
1 |
2 |
Prozent |
26.2% |
15.2% |
14.9% |
30.1% |
5.2% |
0.1% |
0.6% |
7.7% |
Sitze (2003) |
24 |
18 |
27 |
30 |
6 |
0 |
1 |
2 |
Prozent (2003) |
23.53% |
17% |
22.7% |
25.65% |
3.7% |
0.84% |
1.16% |
5.43% |
Sitze (1998) |
18 |
24 |
28 |
20 |
6 |
2 |
2 |
3 |
Prozent (1998) |
17.63% |
21.96% |
21.25% |
18.01% |
6.5% |
1.61% |
2.55% |
4.58% |
SF: Sinn Féin; SDLP: Social Democratic Labour Party; UUP: Ulster Unionist Party; DUP: Democratic Unionist Party;
AP: Alliance Party; WC: Women's Coalition, PUP: Progressive Unionist Party
Ergebnis der Wahlen zum nordirischen Regionalparlament am 7. März 2007
1.107.904 Wahlberechtigte, Wahlbeteiligung: 63,5%
Sowohl Sinn Féin als auch die DUP haben im St. Andrew Agreement einem
Kompromiss zugestimmt, der entscheidende Änderungen ihrer bisherigen
Politik beinhaltet.
Sinn Féin - Anerkennung der Polizei
Für Sinn Féin war dies die Anerkennung der Polizei und der Gerichtsbarkeit.
Dies ist ein gewaltiger Schritt im Konfliktlösungsprozess, da die Polizei
während des Konflikts nicht Polizei, sondern aktiver Konfliktpartner war.
Die Polizei hat - wie andere staatliche Stellen auch - die gesamte Bevölkerung
der irischen Viertel als Terroristen diffamiert, hat die mehrheitlich
katholische Bevölkerung diskriminiert, schikaniert und Willkür und Gewalt
walten lassen. Man schätzt, dass der Zusammenarbeit der Polizei mit
pro-britischen Todesschwadronen Hunderte von Menschen zum Opfer gefallen
sind.
Sinn Féin hat in langen Verhandlungen die Grundlage dafür gelegt, die
Polizeiarbeit der Kontrolle durch die Geheimdienste zu entziehen, und sie
damit weg von solchen Machenschaften und hin zu echter Polizeiarbeit zu
führen. Sinn Féin nennt das "civic policing". Ihr Sonderparteitag hat dieser
Politikänderung und damit der
Anerkennung der Polizei im Januar 2007 mit überwältigender Mehrheit
zugestimmt und damit den Weg zur Allparteienregierung geöffnet.
Dem Sonderparteitag voraus gegangen war ein beeindruckendes Exempel
demokratischer Diskussion in den irisch-republikanischen Vierteln. Sinn Féin
hatte Nordirland weit öffentliche Veranstaltungen organisiert, um das Thema
zu diskutieren. Zu den Veranstaltungen kamen Tausende, um ihre Probleme mit
der Anerkennung der Polizei zu artikulieren und eine gemeinsame Haltung zu
finden. Diskutiert wurde ernsthaft und auf hohem Niveau. Die
irisch-republikanischen Viertel in Nordirland sind ein eindrucksvolles
Beispiel dafür, wie hoch und wie progressiv das politische Bewusstsein in
der Bevölkerung ausgeprägt sein kann. Dementsprechend lag die
Wahlbeteiligung deutlich über dem Durchschnitt von 63%, in etlichen der
irisch-republikanischen Hochburgen bei 70% und darüber.
DUP - gemeinsame Regierung mit Sinn Féin
Eine komplette Umkehr ihrer bisherigen Politik ist die Umsetzung des St.
Andrew Abkommens für die DUP. Die DUP hat sich im St. Andrews Abkommen zur
gemeinsamen Regierung mit Sinn Féin und damit zur Machtteilung zwischen
Unionisten und der irischen Hälfte der Bevölkerung bekannt. Natürlich nicht
ohne wenn und aber. Und ganz sicher kann man sich bei der DUP, die Tom
McGurk von der Sunday Business Post als eine Art Mischung aus
"(protestantischen) Taliban und (konservativen) Technokraten" beschreibt,
nie sein. Trotzdem ist das Abkommen ein gewaltiger Schritt weg von der
bisherigen Politik der Gegnerschaft zum Karfreitagsabkommen und zur
gemeinsamen Allparteienregierung.
Allerdings zeichnet sich dieser Schritt seit längerem ab: die
Westminsterwahlen 2005 hatten der DUP einen glorreichen Sieg über ihren
Rivalen UUP beschert. Der Wahlslogan der DUP deutete damals bereits schon in
Richtung Kompromiss "Ein fairer Deal" war die Losung. Das war
meilenweit weg von den anti-katholischen und anti-irischen Hassparolen, mit
denen die DUP seit ihrer Gründung den Konflikt geschürt hatte. Bereits 1964 rief Ian Paisley
in flammenden Reden seine Anhänger auf, selbst in das irisch-republikanische Viertel West Belfast zu marschieren,
um die Fahne der irischen Republik aus dem Fenster eines Büros der damals noch verbotenen Partei Sinn Féin zu
entfernen, falls die Polizei dies nicht umgehend erledige. Viele betrachten
den Aufruhr, der daraus resultierte, als eigentlichen Beginn der "Troubles".
Ian Paisley's "Never,never,never" zu jedem kleinsten Kompromiss ging als
geflügeltes Wort in die irische Geschichte ein. Noch heute redet kein DUP
Politiker in der Nähe einer Kamera mit Sinn Féin, erst vor kurzem reiste Paisley zu seinen allerersten Gesprächen
mit irischen Regierungsvertretern nach Dublin.
Dementsprechend groß waren die Erschütterungen in der DUP. Einige getreue
Anhänger verließen die Partei, um mit dem ewig-gestrigen Robert McCartney
und seiner UKUP unter der Losung "keine Zusammenarbeit mit Terroristen" zu
kandidieren. Sie erlitten eine vernichtende Wahlniederlage.
Unionistische Alleinherrschaft ist politisch nicht mehr möglich
Vielleicht ist das das beeindruckendste Ergebnis dieser Wahl. Die
unionistische, pro-britische Bevölkerung hat in ihrer Mehrheit klar den
religiös-rassistischen Angstparolen unionistischer Hardliner keinen Glauben
geschenkt und hat sich in großer und klarer Mehrheit für eine gemeinsame
Regierung ausgesprochen. Das war auch das klare Stimmungsbild, das die BBC am Tag nach der Wahl in den
unionistischen Vierteln einholte. Alle interviewten Passanten hofften auf eine Einigung und das
Zustandekommen der Allparteienregierung.
Sogar die UDA, die größte und gewalttätigste
pro-britische Terrorgruppe, die seit dem Friedensabkommen etliche Morde
verübte, fühlte sich bemüßigt, in einer Stellungnahme zu verkünden, dass sie
gewählte Sinn Féin Politiker akzeptieren und nicht bedrohen würde.
Diese neue Dynamik wäre ohne den einseitigen und weit reichenden Schritt
der IRA im Sommer 2005 wohl nicht möglich geworden. Die IRA hatte damals
erklärt, den bewaffneten Kampf zu beenden und ihre Ziele mit ausschließlich
friedlichen und demokratischen Mitteln zu verfolgen und hatte im Herbst 2005
ihr gesamtes Waffenarsenal zerstört. Seitdem beginnt das Feindbild IRA
seine Wirkung in der unionistischen Bevölkerung zu verlieren.
Die nächsten Wochen bis zum 26. März werden von intensiven Verhandlungen
bestimmt sein. Sollte die DUP am Ende tatsächlich der gemeinsamen Regierung zustimmen, wäre
dies ein wichtiger Schritt im nordirischen Konfliktlösungsprozess. Eine
solche Regierung wäre ein sichtbares Zeichen, dass die Diskriminierung der irischen Bevölkerungshälfte -
der berüchtigte protestant state for a protestant people - politisch nicht mehr möglich ist.